Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Sie will nicht im Salon kellnern, sondern hart an der Wirklichkeit arbeiten: Maybrit Illner fragt sich für das ZDF durch.
Sie hat diese unangemessen gute Laune. Sitzt da zwischen alten Männern, die miteinander über Renten, Reformen und Regierungskoalitionen streiten, und ihre funkelnden Augen und ihre Körperhaltung zeigen: Sie vergnügt sich. Nicht daß sie die Probleme, um die es geht, nicht ernst nähme. Sie weiß einfach: Dies ist eine Fernsehsendung. Hier geht es nicht nur darum, daß sich Menschen unterhalten, sondern auch darum, daß Menschen unterhalten werden. Sie selbst eingeschlossen. Fast erinnert Maybrit Illner darin an Michel Friedman, von dessen Aggression sie nichts hat, aber dem man auch immer die Lust am Streit ansieht, an politischen und rhetorischen Auseinandersetzungen.
Schelmisch ist ihr Lächeln in der Sendung – der größtmögliche Gegensatz zum abgeklärten, wissenden Lächeln von Sabine Christiansen. Die Talkmasterin der ARD, deren Sendung aus unerfindlichen Gründen immer noch viel mehr Zuschauer erreicht, strahlt in ihren Männerrunden das Gefühl aus: Hey, wir hier oben wissen längst, wie Deutschland zu retten wäre, aber kauen wir den Stoff einfach noch einmal durch. Maybrit Illner strahlt in „Berlin Mitte“ das Gefühl aus: Gut, vermutlich werden wir Deutschland mit dieser Gesprächsrunde nicht retten, aber laß uns wenigstens ein paar ketzerische Fragen stellen, zusehen, daß wir den einen oder anderen Teilnehmer aus der Reserve locken und uns und die Welt nicht langweilen.
Während Sabine Christiansen mit jeder Pore und Party demonstriert, daß sie Teil des politischen Establishments ist, strengt sich Maybrit Illner an, das Gegenteil zu vermitteln. Inzwischen ist sie viel zu wichtig, als daß sie tatsächlich den politischen Betrieb wirklich noch von außen betrachten könnte und nicht von innen. Und Menschen aus ihrer Umgebung berichten, daß sie keineswegs gefeit ist vor den Veränderungen, die Leute durchmachen, wenn sie prominent werden; vor der Gefahr, sich zu wichtig zu nehmen. Aber trotz allem scheint sie mehr Wert als andere auf einen gewissen Abstand zu legen. Und sei es durch gute Laune und Ironie.
Sie kann aber auch staatstragende Sätze zum Thema formulieren: „Es besteht ja grundsätzlich die Gefahr, daß der Zuschauer politische Talkshows nur als einen Salon wahrnimmt, in dem sich die politische Elite zum Plaudern trifft. Diesem Eindruck muß man entgegenwirken, mit jeder Sendung, jeder Frage. Wir verstehen uns nicht als Programmkellner, die auf silbernen Tabletts nette Fragen servieren. Und wir laden nie nur Politiker ein. Diese Gratwanderung müssen wir hinbekommen: einerseits mit den Verantwortungsträgern über ihre Entscheidungen zu diskutieren, andererseits dem politischen Souverän das Wort zu geben – in Gestalt von Fachleuten, Freidenkern und Querdenkern. Das kann nur hinhauen, wenn man sich eben nicht als politischer Salon versteht, sondern als Werkstatt, in der wirklich gearbeitet wird.“
Und was die Nähe zwischen Politikern und Berichterstattern angeht: „Es gibt Kollegen, die schreiben Politikern ihre Biografien, tummeln sich auf deren Privatfeten und coachen sie für Wahlkampfauftritte. Und am nächsten Tag tun sie dann in ihren Blättern so, als wären sie unbestechliche Kritiker. Das sollten deutsche Journalisten endlich mal diskutieren. Wir brauchten einen Verhaltenskodex, wie es ihn bei der ,New York Times‘ gibt. Kuscheln mit Politikern verstößt dort gegen die Hausordnung.“
Maybrit Illner ist 1965 in (Ost-)Berlin geboren und arbeitete nach dem Journalistik-Studium in Leipzig als Sportjournalistin im DDR-Fernsehen. Nach der Wende moderierte sie dort ein Reisemagazin und das „Abendjournal“. Schließlich wurde sie Reporterin im ZDF-Morgenmagazin und 1998 dessen Leiterin, vertrat Ulrich Kienzle in „Frontal“ und bekam 1999, als der Sender beschloß, das Feld der politischen Talkshow nicht mehr allein der ARD zu überlassen, überraschend die Moderation von „Berlin Mitte“. Das ist nicht gerade der typische Werdegang eines politischen Journalisten, und es ist ein großes Glück für Illner, daß ihr dieser ungewöhnliche Hintergrund einerseits hilft, positiv aufzufallen, und sie andererseits nicht als „Dreifachquote“, wie sie sagt, wahrgenommen wird: „Jung, aus dem Osten und auch noch Frau.“
Sie hat gerade ein Buch herausgegeben über „Frauen an der Macht“. Dabei war das eigentlich gar nicht ihr Thema. „In der DDR war es für gewöhnlich kein Drama, nicht als Mann auf die Welt zu kommen. Mein Bruder und ich hatten eine sehr selbstbewußte Mama, die uns immer das Gefühl gegeben hat, daß wir zwar ihre Augäpfel sind, aber daß sie neben uns schon noch andere Hobbys hat. Sie hat uns vorgelebt, was Emanzipation im Alltag bedeutet. Insofern war meine Weltsicht nicht geprägt durch die Erfahrung von trotziger Selbstbehauptung und Geschlechterkampf. Nach der Wende kamen dann — mit einem gewissen Erfolg — ständig Fragen nach meiner spezifisch weiblichen Sicht auf die Dinge. Die ich eigentlich gar nicht hatte. Also habe ich meinen Blick scharf gestellt und mich umgesehen. Und die gesellschaftliche Realität hierzulande sieht immer noch so aus: zu wenig Professorinnen, Politikerinnen in Spitzenpositionen, viel zuwenig Frauen in Vorständen und überhaupt in politisch und gesellschaftlich relevanten Positionen. Und da das so ist, denke ich mittlerweile über meine ’spezifisch weibliche Sicht‘ öfter mal nach.“
Daß es auf dem Fernsehschirm inzwischen keinen Mangel an Frauen mehr gibt, erklärt sie mit typischem Spott: „Ende der Neunziger gab es so eine Art Aufholjagd. Frauen waren plötzlich nicht mehr nur auf die weichen Themen abonniert. Sie durften Männer-Domänen besetzen und Wirtschaftsmagazine und Nachrichtensendungen und sogar Polit-Talks moderieren. Das Pendel schlug kurzzeitig heftig in die entgegengesetzte Richtung aus und ist jetzt in der Mitte zur Ruhe gekommen. Also kein Grund zur Panik!“
Natürlich hat ihre kokette Art, die meist männlichen Gesprächsteilnehmer aus der Reserve zu locken, viel damit zu tun, daß sie eine Frau ist. Aber als prägend für ihr Berufsverständnis empfindet sie weniger ihr Geschlecht als ihr Alter: „Die Journalisten meiner Generation sind vielleicht einfach pragmatisch. Sie dienen sich keiner Partei an, sind keine verkappten Missionare, sondern verstehen sich als Beobachter, als Informations-Staubsauger und Analytiker. Diese Sorte Journalisten ist schwer erpreßbar.“
Auf über 250 Sendungen hat es „Berlin Mitte“ gebracht, und was die Talkshow im Gegensatz zu ihrem ARD-Gegenstück auch auszeichnet, ist, daß sie nicht erstarrt ist. Seit einem Jahr nutzt sie die Möglichkeit, die Diskutanten mit Zitaten, Zahlen und kleinen Erklärstücken zu konfrontieren, und immer häufiger ist sie Interviewerin von nur einem Gesprächspartner statt Moderatorin von fünf „Quälgeistern“ (Illner). „Wir lehnen uns nicht zufrieden zurück“, sagt sie, „sondern fragen uns: Wie können wir aus unserem spröden Werkstoff – der Politik – ein möglichst ansehnliches Format bauen. Auch eine Talkshow braucht, wenn sie bleiben will, ständige Veränderung.“
Ihre Kollegen stöhnen manchmal über die Besessenheit, mit der sie alles Politische verfolgt, und manchmal ahnt man, daß die Entspanntheit, die sie in ihrer Sendung zeigt, hart erarbeitet ist und eine sehr unentspannte Kehrseite jenseits des Bildschirms hat. Aber vor allem ist Maybrit Illner wohl ein glücklicher Mensch. Spricht man sie auf ihre Entspanntheit an, sagt sie: „Ich glaube, ich habe auch allen Grund dazu. Wovor sollte ich mich fürchten? wäre die Gegenfrage. So elend sich das vielleicht anhört: Es gibt wirklich nichts, worunter ich leide.“
Sie werde immer wieder danach gefragt, was nach „Berlin Mitte“ kommen könnte. „Aber ich finde den Job, den ich momentan mache, überhaupt nicht langweilig. Ich muß mich zu nichts überreden, mich nicht zwingen, Politik aufregend zu finden. Und offensichtlich merkt man mir das auch an. Wie lange das so bleibt, kann ich natürlich nicht sagen. Ich weiß, daß Fernsehen nicht mein ganzes Leben ist“, sagt Maybrit Illner. „Vielleicht nicht mal mein halbes. Und ich bin trotzdem fasziniert von diesem Medium, von seiner Schnelligkeit, Authentizität und Emotionalität.“
Und wenn sie eines Tages doch niemand mehr auf dem Schirm sehen wollte, werde sie das auch verkraften, sagt sie. Dann werde sie das als Wink des Schicksals verstehen und neue Pfade einschlagen, vielleicht mit ihrem Mann Krimis schreiben oder nach London gehen. „Das Leben — vor allem im ZDF ist bekanntlich eine Telenovela. Das gilt auch für ‚Maybrit – Wege zum Glück‘.“