Iiiieh, eine Tunte!

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Fernsehen hat den Schwulenwitz wiederentdeckt und hält ihn für modern.

Gäbe es keine Schwulen, das Fernsehen müßte sie erfinden, allein für seine Comedys. Nicht nur, weil sie so faszinierend abartig sind, so schräg, lustig, lächerlich. Sie bringen auch so viel Tempo in die Handlung. Der schnellste Weg zur Pointe führt über eine Tunte. Wir sehen jemanden mit abgewinkeltem Handgelenk und wissen alles von ihm: seine Sexualität, seine Platten von Marianne Rosenberg, seine Unfähigkeit, Fußball zu spielen, sein Talent, eine Wohnung geschmackvoll einzurichten, und daß er sich nichts sehnlicher wünscht, als einen Heterosexuellen „umzudrehen“, um mit ihm ins Bett zu gehen. Das wissen schon die 16jährigen pickligen Jungs, die auf dem Schulhof zusammenstehen und sich einig sind, daß sie nichts gegen Schwule haben, „solange sie mir nicht an den Hintern gehen“, obwohl so, wie sie aussehen, kein Mädchen auf die Idee käme, sich ihnen zu nähern, aber jeder Schwule würde die Chance nutzen, wenn man nicht aufpaßt, sofort.

Und so braucht die neue Sat.1-Sitcom „Bewegte Männer“ kaum dreißig Sekunden, um den Plot einer ganzen Folge zu entwickeln: Der schwule Norbert hört durch die geschlossene Tür, wie sein heterosexueller Mitbewohner Axel dafür übt, ihm seine Liebe zu gestehen. Es ist natürlich, das weiß der Zuschauer, ein Mißverständnis. Vor allem aber weiß er, daß Norbert Axel sofort zurückliebt. Keine langwierigen Diskussionen, ob er überhaupt sein Typ ist, und daß er die sich zart anbahnende Liebesgeschichte mit einem schwulen Verehrer dafür sofort beendet, versteht sich von selbst. Klar: Der Schwule wird jeden „richtigen Mann“, also jeden heterosexuellen Mann, lieben, den er kriegen kann. Und die anderen noch viel mehr.

Schwulen-Comedys sind in. RTL hat gerade die zweite Staffel seiner Sitcom „Trautes Heim“ abgedreht, in der eine Achtzehnjährige zu ihrem schwulen Vater und dessen Freund zieht. Sat.1 zeigt seit Freitag „Bewegte Männer“, das auf dem Szenario des Kinofilms „Der bewegte Mann“ minus dessen Happy-End beruht – Axel hat sich nicht mit Ex-Freundin Doro versöhnt, sondern lebt weiter mit dem Norbert zusammen. Die Serie ist handwerklich erbärmlich, aber beim Sender ist man bis in die höchsten Etagen mächtig stolz auf sie, vermutlich, weil die Leute glauben, daß sie Modernität, Liberalität, Aufgeklärtheit ausstrahle.

Tatsächlich sind die Zeiten vorbei, als Schwule im Fernsehen nur als schrille Tunten vorkamen. Die Hauptdarsteller von „Trautes Heim“ und „Bewegte Männer“ demonstrieren „Normalität“: Sie ziehen sich männlich an, schwuchteln nur ganz wenig und unterscheiden sich von heterosexuellen Männern nur dadurch, daß sie sensibler sind und kochen können (und daß beim „Bewegten Mann“ Norbert dann doch gelegentlich die Hand abknickt und sich Familienvater Paul im „Trauten Heim“, wenn es stressig wird, exaltiert mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel greift). Sie sind, kurz gesagt, ein bißchen exotisch, aber unauffällig, durchaus vorzeigbar und so normal, daß sie nicht mal Sex haben. Norbert nicht, weil er schüchtern und erfolglos ist, Paul nicht, weil er monogam und häuslich lebt.

Ist das nicht praktisch? Ein Homosexueller ohne gelebte Sexualität ist gleich viel massentauglicher. Die 16jährigen pickligen Jungs auf dem Schulhof finden ihn nicht bedrohlich, selbst der ultra-konservative republikanische Senator Rick Santorum sagt: „Ich habe kein Problem mit Homosexualität. Ich habe ein Problem mit homosexuellen Handlungen.“ Der Schwulenfeind Santorum hätte kein Problem mit den neuen deutschen Schwulen-Comedys.

Sex haben darin nicht die sympathischen Hauptdarsteller, Sex haben ihre tuntigen Freunde. Die sind nicht mehr die einzigen Repräsentanten von Homosexualität im deutschen Fernsehen, aber sie sind immer dabei, und sie sind so häßlich wie eh und je. Im „Trauten Heim“ ist es Ulf, genannt Ulla, der Ex-Freund, der oben im Haus lebt, in den „Bewegten Männern“ der beste Freund Walter, genannt Waltraud. Sie vereinen all das, was der heterosexuelle Mann an Homosexuellen bedrohlich findet: Sie gehen abends in die Szene, haben Spaß, leben promisk, flirten offensiv mit allem, was keine Frau ist, ignorieren die Grenzen zwischen maskulinen und femininen Rollen. Sie zahlen dafür einen hohen Preis: Sie werden verachtet.

Wenn Ulla oder Waltraud die Szene betreten, reagieren alle anderen, egal ob Homo oder Hetero, gleich: Sie rollen mit den Augen. Die Tunten müssen versteckt werden, wenn Besuch kommt. Die Tunten müssen raus, wenn ernste Dinge besprochen werden. Sie sind unglücklich, besessen von Sex und ihrem Aussehen, und ihre bösen Kommentare, ihr schwuler Witz, der im Englischen einen eigenen Gattungsbegriff bekommen hat: „camp“, wirken nur bitter.

Die Tunte muß demaskiert werden, ihre Häßlichkeit und Armseligkeit unter all dem Make-up, der Verkleidung, der Haltung bloßgestellt werden. In den „Bewegten Männern“ geschieht das am drastischsten in der Folge „Die Erbtante“, in der Norbert seiner reichen Tante vorspielen will, daß er heterosexuell ist, und die tuntige Waltraud ungebeten und aufgetakelt hereinplatzt und die Rolle der Freundin spielt. Sie gibt ein erbärmliches Bild ab, aber nicht halb so erbärmlich wie das einige Minuten später, als ihre Perücke in Brand geraten ist und sie versucht, sie in der Suppenterrine zu löschen, Axel sie mit Brot bewirft, damit sie endlich abhaut, ihr Freund Norbert, statt sie zu bemitleiden, nur „ksch“ macht und sie auf einem einzelnen Pumps aus der Wohnung humpelt, das Gesicht zur Fratze verzerrt. Tosendes Gelächter vom Band. Schreibt Sat.1 in seiner Pressemappe: „Die nervtötende Klischeetunte und ähnlich billig Diskriminierendes sind in der Serie nicht willkommen.“

Solche Szenen sind nicht neu. Es sind Varianten des „Käfigs voller Narren“ vor fünfundzwanzig Jahren mit seinen männlichen Schwulen, die ihre Würde bewahren, und den tuntigen, die sie verlieren, bloßgestellt als die Freaks, die sie sind. Daß die schrille Tunte – die ja keine Erfindung von Film und Fernsehen ist, sondern Realität – auch stolz sein könnte, selbstbewußt, unabhängig, selbstironisch und beißend komisch, ist im deutschen Fernsehen immer noch undenkbar. Fast: In „Nikola“, der Hochglanz-Comedy von RTL mit Mariele Millowitsch, schafft Oliver Reinhard als ihre „beste Freundin“ Tim häufig die Balance. Ist ein Mensch, kein Freak, und hat die Lacher fast so häufig auf seiner Seite wie gegen sich.

In anderen Genres, den Krimis und den Soaps, ist das deutsche Fernsehen im unverkrampften, oft beiläufigen Umgang mit homosexuellen Rollen längst weiter. Für die Comedyautoren sind die alten Vorurteile aber viel zu bequem. Würden sie sich etwa von der Idee verabschieden, daß Schwule mit jedem Hetero sofort ins Bett hüpfen würden, müßten sie fast jedes Drehbuch wegwerfen!

Mit solchen Klischees zu leben, das sind die Schwulen seit Jahrzehnten gewohnt. Aber die alten Witze als neue Toleranz zu feiern, da hört es wirklich auf.