Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
ARD-Programmdirektor Günter Struve über Schleichwerbung, Boulevardfernsehen und erboste Chefredakteure.
Herr Struve, wie geht es Ihnen im Jammertal?
Ich komme aus einem Gebiet, das unterhalb des Meeresspiegels liegt. Von daher befinde ich mich irgendwie immer relativ weit unten. Jammern ist aber eine der wenigen negativen Eigenschaften, die ich bei mir persönlich noch nicht kennengelernt habe. Es geht mir also den Umständen entsprechend gut.
Dabei ist das Jammertal, wie ich der ARD-Sendung „Wellness TV“ entnahm, doch ein höchst empfehlenswertes, wunderbares, entzückendes, traumhaftes Hotel.
Ja, das war in der ersten Sendung vergangene Woche. Die Ausgabe gestern sah schon ganz anders aus.
Inwiefern?
Sie geht deutlich sensibler mit den Dingen des Lebens und den diversen Angeboten um. Wobei „Wellness TV“ die Ungerechtigkeit angetan wurde, daß man es für einen Ratgeber hielt. Es war nie die Absicht, einen Ratgeber zu machen. Dann wäre die Präsentation in der Tat inakzeptabel gewesen.
Was ist es sonst?
Eine Unterhaltungssendung mit einigen unterhaltenden Hinweisen. Es ist eine — völlig außerhalb der Verantwortung der Chefredakteure liegende — Nachmittagssendung, hergestellt vom Familienprogramm. Mehr ist es nicht, weniger auch nicht. Und natürlich müssen auch da Grenzen beachtet werden.
Die waren wohl nicht klar genug.
Ja. Ich glaube, die letzte Sendung ging sehr unbefangen damit um. Es gab keine Rechtsverletzungen, aber sicher Fragen von Zweideutigkeit, das sieht auch der produzierende Saarländische Rundfunk so. Aber es ist natürlich ein Problem: Die kleineren ARD-Anstalten, denen es finanziell nicht sonderlich gut geht, möchten auch Angebote ins Gemeinschaftsprogramm einbringen und greifen eher auf Finanzierungsquellen zurück, die am Markte zu haben sind, die auch keine Schande sind, die aber natürlich das Profil des Ersten nicht verwischen dürfen. Und da gab es beim ersten „Wellness TV“ schon Nachbesserungsbedarf.
Sind Sie plötzlich sensibilisiert?
Wir sind natürlich stark sensibilisiert: Eine Vermischung mit werblichen Botschaften darf es bei uns nicht geben, und es gibt sie nicht, schon gar nicht in der Nähe von Ratgebersendungen, die neben den Nachrichten als besonders profilprägend für die ARD gelten. Deshalb muß man dort den Laden besenrein halten. Wenn Zweifel aufkommen, muß man handeln. Wir werden rechtlich mögliche Kooperationen mit Firmen nicht mehr bis an den Rand des Erlaubten, nicht mal mehr bis an die Nähe des Randes austesten.
Sie reden von den Werbegewinnspielen in Sendungstrailern für „Bunte TV“ und Bambi?
Das können Sie mit einbeziehen. Aber es ist kein Zufall, daß „Wellness TV“ und „Bunte TV“ von kleineren ARD-Anstalten kommen, die besonders findungsreich sein müssen im Aufspüren von Mitfinanzierungspartnern. Wir werden jedoch nicht ganz auf Gewinnspiele verzichten, damit würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Bei der Bundesliga ermöglichen sie uns, die Refinanzierung zu schaffen. Beim Sport sind sie auch redaktionell unschädlich. Aber bei Gewinnspielvarianten in Programmtrailern, da werden wir uns extrem zurückhalten. Die werden Sie im neuen Jahr nicht mehr sehen.
Es gab nach der verheerenden Presse einen Beschluß der Fernsehdirektoren, das sofort zu stoppen, aber Sie kommen so schnell nicht aus den Verträgen heraus.
Stimmt. Der Bambi ist vorbei, jetzt läuft noch der Werbetrailer für „Bunte TV“, aber auch da wird in Zukunft Zurückhaltung die Mutter der Porzellankiste sein.
Wieviel Werbung außerhalb der Werbeblöcke, wieviel Schleichwerbung, werbliche Beiträge sind gut für die ARD?
Schleichwerbung ist Gift und Galle. Wenn man sie findet, muß man sie bekämpfen. Einige Sonderwerbeformen sind dagegen völlig problemlos. Wenn man zum Beispiel den ganzen Tag die Tour de France überträgt und dann zwei oder drei Gewinnspiele zeigt, ist das sicher kein Problem. Es ist überall dort ein Problem, wo unser Informationsprofil in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Da sind wir wieder bei „Wellness TV“: Unsere Auffassung war, daß wir hier eine nachmittägliche Unterhaltungssendung machen, das ist aber beim unbefangenen Zuschauer völlig anders angekommen. Der sieht Bilder irgendeines Heilbades und empfindet das als einen Rat. Deshalb müssen wir an diese Dinge strenger herangehen: Könnte der Zuschauer glauben, ein Wellness-Format ist ein Teil des Informationsangebotes oder nicht? Die Bambi-Verleihung sieht kein unbefangener Zuschauer als eine Darbietung der ARD-Information.
Wie ist das bei „Bunte TV“?
Es gibt Kritiker, die sagen: Eigentlich ist das Wirtschaftswerbung für den Burda-Verlag, das sehe ich nicht so. Das zweite, was die Sendung auffällig gemacht hat, sind die Gewinnspieltrailer, von denen werden wir uns verabschieden.
Noch eine Auffälligkeit ist, daß das ein Boulevardformat ist, das für die ARD-Informationskompetenz nicht vorbildlich sein kann.
Nein, „Bunte TV“ ist ja nun eine ausgesprochene Unterhaltungssendung — wie Loriot, der vorher auf dem Sendeplatz lief. Das hat mit Information nicht das geringste zu tun, hat auch nicht den Anspruch. Abgesehen davon: Ist es wirklich so boulevardesk, Frau Merkel als ersten Gast zu haben?
Kommt darauf an, worüber und wie man da mit ihr redet.
Was das Format soll, ist klar: einen Einblick in die Welt von Prominenten ermöglichen, den wir ohne die Hilfe von Frau Riekel nicht haben könnten. Das halte ich auch für sehr legitim. Ob die Sendung dieses Ziel schon erreicht, muß jeder Zuschauer selbst entscheiden.
Gerade tobt eine Diskussion über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und Sie starten ausgerechnet „Bunte TV“, „Wellness TV“, nachmittags „Speck“, bald Schreinemakers…
Speck und Schreinemakers würde ich da völlig rausnehmen. Speck macht eine Lebensberatung, die weder gesponsert ist noch sonstwas.
Sie wird von der Firma von Vera Int-Veen produziert, und er sitzt da Alzheimer-Angehörigen gegenüber, die vor Publikum heulen — das ist schon ein Format, das man in der ARD so nicht kannte.
Ich kenne das Vorbild in den USA, Dr. Phil. Das ist ein common sense Lebensrat-Magazin, das durchaus auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein kann. Frau Schreinemakers wird ebenfalls nicht darüber sprechen, wie siamesische Zwillinge Sex haben, das wird ein sehr journalistisches Format. Und bei „Bunte TV“ dürfen Sie nicht vergessen: Das kommt, wenn es einschlägt, nur einmal im Monat. Es läuft nur zu Beginn wöchentlich, um ihm eine Chance zu geben.
Groß ist das Interesse der Öffentlichkeit noch nicht.
Die Klassiker von Loriot hatten vorher die gleiche Quote. Der Sendeplatz ist verteufelt schwer.
Man kann auch anders rechnen: Die neuen Versuche, mit „Bunte“, „Wellness“, „Speck“ Privatfernsehen zu machen, sind dramatisch erfolglos. Die Zuschauer erwarten diese Farben nicht von der ARD.
„Speck“ ist, wie die anderen, kein kommerzielles Format, die Privaten hätten es abgelehnt, weil sie es für zu weich hielten. Und Sie müssen auch sehen: Was hat Herr Speck verdrängt? Dritt-Wiederholungen von Serien, die wir im Programm hatten, weil der Nachmittag bei uns so unterfinanziert ist.
Das ZDF sendet parallel Naturdokumentationen und freut sich über steigende Quoten.
Die ARD ist das einzige Programm, in dem Sie heute mehr Information am Hauptabend finden als vor zehn Jahren, weil wir Unterhaltungsplätze geschleift und beispielsweise der Dokumentation zugeführt haben. Ich teile Ihren Ansatz nicht, daß das alles kommerzielle Formate sind. Und: Wir korrigieren rasch. Wenn Speck keinen Erfolg hat, ist er nach 32 Folgen weg. Und ein „Bunte TV“, das keinen Erfolg hat, wird auch schnell korrigiert werden, und zwar auch im Wissen und Wollen der Protagonistin und der Produzentin. Ich halte Konvergenz im dualen System für die gefährlichste Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, denn wenn wir nicht mehr unterscheidbar sind, sind wir entbehrlich. Aber bei diesen Formaten sehe ich es nicht. Schauen Sie es sich mal an, was Frau Schäfer früher für Formate gemacht hat. Dagegen ist sie jetzt bei „Wellness TV“ wie die Nonne Gretl aus einem Musterkloster. Bei einer Befragung im „Stern“ kam heraus, daß 73 Prozent der Menschen überhaupt keine Probleme haben, ARD und ZDF von den Kommerziellen zu unterscheiden. Die Trennungsschärfe ist stärker als 1995, weil völlig eindeutig ist, was wir für Programme anbieten und was die anderen.
Dafür haben Sie gerade die Kulturmagazine am Sonntag noch später in den Abend geschoben.
Das halte ich nachweislich für eine Verbesserung. Der Ablauf „Christiansen“, Kultur, „Tagesthemen“ war für eine Regelsendung wie die „Tagesthemen“ nicht bekömmlich, und die Kulturmagazine sind keine Regel-, sondern eine Feinschmeckersendung. Jetzt haben „Tagesthemen“ und Kulturmagazine zusammengerechnet viel bessere Quoten.
Trotzdem: Haben Sie es den Kritikern in den vergangenen Wochen nicht sehr leicht gemacht? Es muß Ihnen doch zu denken geben, daß Sie von wirklich allen Seiten Prügel beziehen.
Es ist wie immer ein Bandwaggon-Effekt, mal sind es die Flugmeilen, dann der öffentlich-rechtliche Rundfunk, jetzt Herr Gerster. Aber wer 24 Stunden am Tag Fernsehen macht, macht Fehler. In einigen Zeiten werden die kaum wahrgenommen, in anderen Zeiten — und in solchen sind wir jetzt — wird gesucht und jedes mittlere Fehlverhalten, jede Unbedachtheit gefunden und aufgebauscht. Dieser Kritik müssen wir uns stellen, aber mir liegt schon daran, festzuhalten, daß sich an unserer Grundtendenz, am Gesamtauftritt des Ersten überhaupt nichts und schon gar nichts negativ verändert hat.
Davon müssen Sie noch Ihre eigenen Chefredakteure überzeugen.
Wir haben mehr Chefredakteure als jedes andere Medienunternehmen. Die werden von mir hoch geschätzt. Die wissen, daß ihre eigenen Auftritte immer gut sind (das stimmt auch), und es ist legitim, anderes, was außerhalb des eigenen Einflußkreises liegt, zu kritisieren.
Die Lancierung der Kritik aus der Chefredakteurskonferenz richtete sich persönlich gegen Sie.
Natürlich, aber gegen mich wird ja alles mögliche lanciert. Selbst bei Planungen, die seit einem halben Jahr in den Häusern lagen und von allen abgenickt wurden, wie die gelegentliche Verschiebung der politischen Magazine am Donnerstagabend auf 21.45 Uhr, über die es vor einem halben Jahr so eine Aufregung gab. Dabei ist das „Panorama“, „Monitor“ und „Kontraste“ fast immer ausgesprochen gut bekommen. Dann schweigen die und sagen nicht: Hei, der große Struve, der wunderbare, hat uns einen Vorlauf geschaffen, der uns mit höherem Marktanteil ausstattet. Natürlich reden sich die Chefredakteure, vor allem, wenn ich nicht dabei bin, sehr in Rage. Das sollen sie tun, das ist gesund für die Seele.
Und Sie werden ihnen weiter Anlaß dazu geben.
Immer und gern. Ich sehe einen Teil meines Gehaltes dadurch gerechtfertigt, daß man jemanden hat, auf den man was abladen kann.