Süddeutsche Zeitung
Soap-Darsteller darf man zwar aus ihrer Serie herausschreiben, aber nicht gleich auf die Straße setzen — entschied ein Gericht.
Ein ganz normales Leben. Charlotte Bohlstädt war 21, ein spontanes, mitfühlendes Mädchen. Sie litt an Grauem Star, den sie erst geheim halten wollte, dann aber operieren ließ, woraufhin sie erblindete. Ihr Bruder sammelte Geld, um sie in eine Spezialklinik nach Moskau zu bringen, und als sie zurückkam nach Deutschland und die Verbände abnahm, konnte sie wieder sehen. Ihr Freund verschwand dann allerdings auf dem Weg nach Griechenland und kehrte erst Wochen später zurück, weil ihn eine Tropenkrankheit im Busch festgehalten hatte. Charlotte schlief derweil mit einem Erpresser, um die Karriere ihres Geliebten zu retten, und fand schließlich, dass ihre Brust zu klein war, weshalb sie sich unters Messer legte. An Seifenoper-Standards gemessen, ein ganz normales Leben.
Es endete im April dieses Jahres. Weil Charlotte nicht verkraftete, dass ihr Bruder von einer Wahnsinnigen erschossen wurde, und nach Südfrankreich zog. Eigentlich aber, weil die Zuschauerzahlen von Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) im letzten Herbst so schlecht wurden, dass sich der Produzent Grundy Ufa entschied, die Familie Bohlstädt aus der Serie zu schreiben, um neue Konstellationen zu ermöglichen. Und vielleicht auch, weil die Brustvergrößerung, die für Quote sorgen sollte, bei den Fans nicht ankam. Jedenfalls verlor Charlotte ihre Serienheimat und ihre Darstellerin Stefanie Julia Möller ihren Job.
Es war nichts, das sie selber verschuldet hätte, im Gegenteil: Gegen die Brustoperation, wegen der sie dann mit Silikonpolstern spielen musste, soll sie sich sogar gesträubt haben. Aber die Bertelsmann-Tochter Grundy Ufa, die außer GZSZ noch die Seifenopern Unter Uns für RTL und Verbotene Liebe für die ARD dreht, schreibt wie viele andere Produzenten folgenden Satz in die Verträge: „Das Arbeitsverhältnis endet, falls die Rolle des Darstellers nicht mehr in der Serie enthalten ist.“ So einfach ist das. Kommt Charlotte nicht mehr an, steht Stefanie auf der Straße.
Zu unrecht, wie das Arbeitsgericht Potsdam jetzt entschied. Stefanie Julia Möller, die gegen Grundy Ufa geklagt hatte, gewann dort in erster Instanz. Hat das Urteil Bestand, wird die Arbeit für die Billig-Produzenten unbequem. Den Anwälten Simon Bergmann und Christian Schertz, die viele Soap- Darsteller vertreten, war die Klausel lange ein Dorn im Auge. Bislang aber habe sich niemand getraut, dagegen vorzugehen — aus Furcht vor den Kosten oder davor, nicht mehr engagiert zu werden.
Bergmann veranschaulichte die Absurdität der umstrittenen Klausel vor Gericht im Fall Möller mit einem Vergleich: „Es ist, als würde ein Fußballer automatisch arbeitslos, wenn der Trainer ihn dreimal nicht einsetzt. “ Während die Verträge die Darsteller typischerweise für zwei Jahre an die Produktion binden, könnte der Produzent sie nach Gutdünken vorzeitig beenden, indem er ihre Rolle aus der Serie herausschreibt – warum auch immer. „Es besteht die Gefahr des Missbrauchs“, sagt er, „das ist ein extremes Druckmittel für den Arbeitgeber, der einen unbequemen Angestellten nicht einmal kündigen oder abmahnen müsste.“ Das Unternehmerrisiko, dass etwa eine Figur beim Zuschauer nicht ankommt, dürfe nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden.
Gerade darauf aber beruht die knappe Kalkulation der Seifenopern. Mit Kosten von 4000 bis 7000 Mark pro Minute sind die täglichen Soaps die mit Abstand günstigsten fiktionalen TV-Formate. RTL verdankt einen Großteil seines Gewinnes der Marge zwischen diesen niedrigen Kosten und den 185 000 Mark, die Kunden für eine Minute Werbung in GZSZ zahlen. Obwohl die Serie für RTL eine Geldmaschine darstellt, ist bei Grundy Ufa der Kostendruck riesig. Oder in den Worten von Geschäftsführer Rainer Wemcken: „alles sehr straff organisiert. Das Potsdamer Urteil schränkt uns in unserer künstlerischen Freiheit ein“, sagt er. „Der Zeitpunkt, zu dem man feststellt, dass zu einer Figur alles erzählt ist, fällt halt nicht immer mit dem Ende des Vertrages zusammen.“ Sollten weitere Instanzen dem Urteil folgen, sieht er „ein Problem für die Effektivität“: Entweder werde die Produktion teurer, weil herausgeschriebene Charaktere weiter bezahlt werden müssten. Oder die Figuren müssten bis zum Ende des Vertrages ihrer Darsteller mitgeschleppt werden – kein realistisches Szenario, dazu ist der Druck der Sender zu groß, die Quoten zu maximieren. Die industrielle Produktion der Soaps wird nämlich auch durch konsequente Marktforschung geprägt: Kontinuierlich befragen die Macher Zuschauer und passen die Geschichten entsprechend an – wenn eine Figur nicht ankommt, wird nicht lange gefackelt.
Anwalt Schertz, der nicht nur in Sachen Möller mit Grundy Ufa und den Fernsehsendern die Klingen kreuzt, meint, dass die meist sehr jungen Schauspieler nur „verfügbares Personal“ für die Fernsehleute darstellen. Wemcken wehrt sich gegen den Vorwurf der Ausbeutung: Anders als bei anderen Serien bekämen die Darsteller eine Festanstellung mit Urlaub und Sozialversicherung. „Wir sind auch eine Talentschmiede und leben davon, dass wir viel investieren und die jungen Leute, die ja oft keinerlei Erfahrung haben, ausbilden.“
Trotzdem kommt die Bavaria, die für die ARD den Marienhof herstellt, ohne ähnliche Vertragsbedingungen aus: „Wir schätzen dieses Urteil sehr und finden es nicht überraschend“, sagt Chefjustiziar Armin Weltersbach. Wenn im Marienhof eine Figur den vorzeitigen Serientod sterben müsse, werde versucht, den Vertrag im Einvernehmen zu beenden. „In der Regel findet man eine Lösung, mit der beide Seiten leben können.“
Die Trennung im Unfrieden sei auch bei der Grundy äußerst selten, sagt Rainer Wemcken: „Dass man einen Darsteller ins Büro bittet und sagt: ‚Danke schön, das war’s‘, kommt vielleicht einmal im Jahr pro Serie vor.“ Ob das wenig ist, sei dahingestellt — Schertz und Bergmann berichten ohnehin von einem Vielfachen an Fällen. Wemcken betont, in seinen vier Jahren bei dem Unternehmen sei es noch nie passiert, „dass wir Leute aus einer Serie rausgeschrieben haben, weil sie unbequem waren.“
Grundy Ufa will gegen das Urteil Berufung einlegen. „Wir wollen das grundsätzlich klären“, sagt Wemcken. Aus Prinzip, und weil es um viel Geld geht, wenn die Firma mehrere Monatsgehälter von diversen Darstellern nachzahlen müsste. Die Gegen-Anwälte wollen darauf dringen, die Klausel aus den Verträgen aller Soap-Darsteller zu streichen. Doch bis zu einem endgültigen Urteil des Bundesarbeitsgerichts können Jahre vergehen.