Am vergangenen Montag berichtete „Report München“, wie der Datenschutz in Deutschland angeblich die Verfolgung von Straftaten behindert. Konkret ging es um die vermeintlichen Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im vergangenen März, Teile des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung vorläufig außer Kraft zu setzen, weil sie den Persönlichkeitsschutz erheblich gefährdeten.
Ein komplexes Thema, aber „seriöse Information“ ist ja ein Markenzeichen von „Report München“ (sagt jedenfalls „Report München“), und die Redaktion von „Report München“ hat ja den Anspruch, „nach sorgfältiger Recherche auch bei schwierigen und unbequemen Themen deutlich Stellung zu beziehen, Hintergründe zu beleuchten und zu analysieren“.
Das mit dem Deutlich-Stellung-Beziehen ist unbestritten, bei der Analyse, der sorgfältigen Recherche und der seriösen Information hatte ich bei dem Bericht (Manuskript, Video) angesichts des Widerspruchs z.B. von netzpolitik.org so meine Zweifel. Ich habe deshalb der Pressestelle des BR und der Redaktion von „Report München“ per Email folgende Fragen gestellt:
In dem „Report“-Beitrag heißt es: „Nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 11. März 2008 hätte die Nürnberger Kripo kaum eine Chance gehabt, den Vergewaltiger mithilfe gespeicherter Handydaten zu fassen.“ Wie kommen Sie zu diesem Urteil? Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eilentscheidung festgestellt, dass die Weitergabe der Daten zulässig ist, „wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre“. Handelt es sich bei einer Vergewaltigung (§ 177 StGB) nicht um eine solche schwere Straftat im Sinne des § 100a?
In dem „Report“-Beitrag kommt, scheinbar als Beleg für Ihre These, Horst Hanschmann zu Wort. Er sagt: „Wenn das Handy nicht geraubt worden wäre, wäre nur in Anführungszeichen ein Verbrechen der Vergewaltigung vorgelegen und eine Ermittlung des Täters wäre vermutlich nicht möglich gewesen.“ Können Sie mir erklären, was diese Aussage mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu tun hat? Der Polizist sagt, wenn das Handy nicht geraubt worden wäre, hätte man den Täter nicht mithilfe des Handys ermitteln können. Das ist unzweifelhaft wahr, so wie man einen Täter auch nicht mithilfe seiner Fingerabdrücke ermitteln kann, wenn er Handschuhe trägt. Was hat das mit der Gesetzeslage zu tun?
In dem „Report“-Beitrag heißt es: „Nur aufgrund der Klage einer Bürgerinitiative mussten die Karlsruher Richter entscheiden.“ Können Sie mir erklären, was Sie mit dem Wort „nur“ meinen?
In dem „Report“-Beitrag heißt es: „Vergewaltigung zählt demnach nicht mehr als schwere Straftat.“ Können Sie mir die Quelle für diese Aussage nennen?
In dem „Report“-Beitrag heißt es über den „spektakuläre[n] Fall der Münchner U-Bahn Schläger“, dass u.a. „die Auswertung der Handydaten zur Festnahme der Täter innerhalb weniger Stunden“ geführt habe, was „die ganze Absurdität der Diskussion“ zeige. Können Sie mir sagen, in welcher Weise es gelang, mithilfe des Gesetzes zur Datenvorratsspeicherung, das am 1. Januar 2008 in Kraft trat, 2007 Kriminelle dingfest zu machen?
In dem „Report“-Beitrag heißt es: „Vergewaltigung? Ein Verbrechen, das offensichtlich nicht schwer genug ist, um den Zugriff auf die Handydaten möglich zu machen.“ Können Sie mir eine Quelle für diese Einschätzung nennen?
Am Freitag erhielt ich daraufhin folgende Email von Oliver Bendixen und Sabina Wolf, den Autoren des Beitrages:
Herzlichen Dank für Ihr Interesse an unserer Sendung Report München vom 25. August 2008 und Ihre Anmerkungen zum Thema Vorratsdaten.
Eine nicht-anlassbezogene Speicherung von Telekommunikationsdaten ängstigt viele Bürger. Oft wird dabei allerdings übersehen, dass diese Daten für die Ermittlungsarbeit zahlreicherer Straftaten wichtig sind. Gerade in den Bereichen Körperverletzung mit Todesfolge, Vergewaltigung, Stalking, Amoklauf und Trickbetrug konnte die Polizei in der Vergangenheit Täter fassen. Nach dem Eilentscheid des Bundesverfassungsgerichts wurde dieser Ermittlungsweg gestoppt.
Die Behörden sind immer dann auf Telekommunikationsdaten angewiesen, wenn andere Spuren am Tatort, wie etwa Täter-DNA nicht vorhanden oder auswertbar ist. Vielen Bürgern ist nicht bewußt, dass durch die Auswertung der Telekommunikationsdaten nicht nur bereits begangene Einzeltaten aufgeklärt werden konnten, sondern mit der Überführung der Täter gleichzeitig künftige Straftaten verhindert wurden. Dies kam bisher allen Bürgern zu Gute.
Die Ermittlungsbehörden durften bisher zudem nicht ohne richterlichen Beschluss auf Telekommunikationsdaten zugreifen. Eine zusätzliche Kontrolle polizeilichen Handelns war deshalb stets gegeben.
Bürgerrechte sollten nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern auch gegen Kriminelle einschließen, so sehen das Opfervereinigungen, denen wir in unserem Beitrag durch das Aufzeigen einiger Einzelfälle eine Stimme geben wollten.
Die Autoren schließen mit der „Hoffnung“, mir „mit dieser Antwort weiter geholfen zu haben“. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um eine Antwort handelt.
Es grenzt an ein Wunder, dass die Antwort nicht wie folgt begann:
Standard Antwort die wohl jeder erhält der sich auf den Beitrag bezieht. Schade, aber Herr Niggemeier haben sie wirklich mit einer Antwort gerechnet, wenn ja lol :D
Wieso? Die Antwort lautet doch „So ist man
in Bayernbeim BR“.Das ist ja ein unglaublicher dünner Beitrag, den ich sonst nur von RTL und Konsorten gewohnt bin (arbeiten die Autoren ev. auch für diese Sender?). Sowas „hingerotztes“, mit Pseudofakten untermauertes, Machwerk kenne ich sonst nur von Explosiv oder dergleichen. „Arglose alte Rentner“ die ‚irgendjemandem‘ der vorher anruft 15.000 Euro ‚anvertrauen‘ haben es -ehrlich gesagt- nicht anders verdient. Seit Ganoven-Edes XY weiß man doch bescheid, oder?
Der Report-München-Beitrag ist echt nicht auszuhalten. Selten so eine üble, anbiedernde Stimmungsmache gesehen. Normalerweise sieht man solche journalistischen Entgleisungen nur bei den ÖR, wenn es um Killerspiele geht.
Solange manche Redaktionen keinen anderen Anspruch haben, als die vermeintlichen (!) Ängste und Grundhaltungen ihrer Hauptzielgruppe – Alte – zu bestätigen, kann man nicht mehr von unabhängiger Berichterstattung sprechen.
Ich hatte den Beitrag verfolgt und und fragte mich:
Wovon faseln die eigentlich? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
@Hans
„„Arglose alte Rentner” die ‚irgendjemandem’ der vorher anruft 15.000 Euro ‚anvertrauen’ haben es -ehrlich gesagt- nicht anders verdient.“
Auch arglose alte Rentner haben es sehrwohl anders verdient! Man kann diesen ihre Arglosigkeit vorhalten, aber das ändert nichts daran, daß sie zunächst einmal die Opfer sind. Ein Verbrecher bleibt ein Verbrecher, auch bei einem arglosen Opfer; sogar gerade dann!
Um es deutlich zu sagen: Das ist Hornauers Denke, der Sie hier das Wort reden!
Am schlimmsten war ja neben all den falschen Fakten außerdem noch die FDP Politikerin, deren Statements so geschnitten wurden, als würde sie sich zynisch über die Vergewaltigungssache äußern…
… und als besonderes Detail des Falles ist es ja das Händi des Opfers gewesen – die Frau hätte sicherlich eingewilligt darein, daß man ‚ihre‘ Standortdaten beim Provider ermittelt.
Ich habe den Beitrag auch gesehen und mich sehr geärgert, auch über die Aussage, daß Datenschutz Täterschutz sei, wenn die Polizei nicht ermittle welche Geräte sich zum fraglichen Zeitpunkt in einer Funkzelle befunden haben.
Befand ich mich in der gleichen Zelle, so bin ich also ein Täter? Der Datenschutz schützt mich ja dann davor verdächtigt zu werden.
Und Datenschutz ist Täterschutz – das machte sich Report m.E. als Meinung zu Eigen.
Die Antwort auf den Brief zeugt von funktionalem Analphabetismus – kam wohl auch bei der Gestaltung des Beitrags der Redaktion zu Gute.
[…] die “Folgen” der Vorratsdatenspeicherung hat Stefan Niggemeier eine Mail an die Redaktion geschrieben und folgende Antwort bekommen: Herzlichen Dank für Ihr Interesse an unserer Sendung Report München vom 25. August 2008 […]
Die Antwort ist falsch, fehlerhaft und irreführend. Ich weiss nicht, ob damit Politik gemacht wird oder die Redaktion einfach zu dumm ist: http://netzpolitik.org/2008/report-muenchen-macht-politik-gegen-datenschutz/
*seufz*
Ich sollte aufhören, hier zu lesen. Absolute Desillusionierung ist das. Ich werde noch paranoid. Ich fange mich schon an zu fragen, welche Informationen in diesem Blog hier eventuell schlecht recherchiert sind, weil man ja NIEMANDEM mehr glauben kann und zwar gar nix.
Stefan, wäre es denn möglich, nur so zur Abwechslung, irgendwas zu berichten, wo es um gute journalistische Arbeit geht?
Die Spinne mit dem Wasserhahn hat mir da irgendwie nicht weiter geholfen. Ich hab als Reaktion übrigens das Katzenvideos von ein paar Monaten rausgesucht, die fand ich viel besser
Katzencontent *schnurr*
=^_^=
Oh! OHHHH!
Ich hab grad das dritte Katzen-Video „TV-Dinner“ von Tandemfilms gefunden!
Warum berichtet denn davon hier keiner?!
Hab ich das verpasst?
Bendixen ist langjähriger, bekannter Polizeireporter beim BR. Vielleicht will er ja nochmal was Neues wagen und sich mit diesem Beitrag bei Explosiv bewerben? In der Gunst des TV-Publikums dürfte der Beitrag entscheidend besser ankommen als bei Leuten im Netz, die am Ende noch dieser Bürgerinitiative angehören.
@Sebastian: Oh, Verzeihung. Ich fand das dritte Video einfach nicht so gut wie die ersten beiden. Und in den Kommentaren hatte glaube ich schon jemand… Trotzdem: mein Fehler.
(Und an einem Kontrastprogramm zu all den Desillusionstexten werde ich arbeiten. Ernsthaft.)
Das ist ja ein schlechter Witz – also die Antwort auf die Fragen. Das ist ja mehr als peinlich.
[…] … dieses mal gegen den Datenschutz. Egal was man von der Vorratsdatenspeicherung hält, wenn man sich den kleinen Bericht über die Fehler im “Report München” Beitrag bei Stefan Niggemeier durchliest, kann man nur den Kopf schütteln. Ein besonderes Highlight ist die Antwort von Report München. Lesebefehl! […]
[…] von Stefan Niggemeier zum […]
[…] Also lesenswert: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/report-muenchen-und-die-vorratsdaten/ […]
[…] Nachtrag, 30. August 2008: Stefan Niggemeier hat dem BR geschrieben und von den Autoren eine etwas dünne Antwort erhalten. […]
[…] sowas, da bekomme ich doch glatt die gleiche Antwort wie der Herr Niggemeyer: herzlichen Dank für Ihr Interesse an unserer Sendung Report München vom 25. August 2008 […]
[…] Bei dieser Antwort, die Stefan Niggemeier in Sachen ‘prophylaktische Vergewaltigungsdatenspeicherung’ […]
Wenn ich als Nichtjurist die relevanten Paragraphen richtig lese, dann lautet die Antwort auf die Frage „Handelt es sich bei einer Vergewaltigung (§ 177 StGB) nicht um eine solche schwere Straftat im Sinne des § 100a?“ in der Tat „Nein, außer wenn sie von mehreren Personen gemeinschaftlich begangen wird.“
Im § 100a StPO Abs. 2 Nr. 1 f) heißt es jedenfalls „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen der §§ 176a, 176b, 177 Abs. 2 Nr. 2 und des § 179 Abs. 5 Nr. 2,“ – der § 177 also nur im Falle von Abs. 2 Nr. 2, was die oben erwähnte Einschränkung ist.
Ich weiß nicht, ob es an dieser oder anderer Stelle schonmal so deutlich gesagt wurde: Der report-Bericht ist noch viel falscher.
Selbstverständlich kann auch nach einer Vergewaltigung weiterhin ein Handy geortet werden.
Darum geht es in der Verfassungsgerichtsentscheidung nämlich nicht. Bislang war es so, dass die Strafverfolgungsbehörden bei ihren Ermittlungen auf sämtliche Verbindungsdaten zugreifen konnten, die bei den Telekommunikationsunternehmen vorliegen, sofern der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung vorlag (mal vereinfacht gesagt).
Die Anbieter speichern nämlich ohnehin Daten zu Abrechnungszwecken, meistens für ca. 90 Tage und natürlich auch nur, wenn überhaupt eine Abrechnung erstellt wird, also z.B. nicht bei Flatrates. Auf diese Daten kann die Polizei auch weiterhin UNVERÄNDERT zugreifen.
Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet die Anbieter, sämtliche Verbindungsdaten über einen Zeitraum von 6 Monaten zu speichern. Die Verwendung dieser zusätzlich gespeicherten Daten wurde durch das Verfassungsgericht untersagt. Man kann sich also leicht denken, von welch untergeordneter Bedeutung das Urteil für die Praxis ist.
Alles Bullshit.