Mehrere Hundert Menschen haben heute in Dortmund die „Westfälische Rundschau“ zu Grabe getragen. Die WAZ-Gruppe hat die Redaktion des traditionsreichen Blattes geschlossen; 120 Redakteure und etwas mehr freie Mitarbeiter sind davon betroffen. Die WR soll als Zeitungszombie scheinbar weiterleben, gefüllt seit heute mit Inhalten anderer, bislang konkurrierender Blätter.
Weil eine Berichterstattung darüber im Blatt selbst weitgehend untersagt war, suchten Redakteure der WR und des Schwesterblattes WAZ andere Wege, zumindest Spuren ihres Zorns in der Zeitung zu hinterlassen. Sie erwähnten in den vergangenen Wochen immer wieder die Zahl 120 — vor allem in der Rubrik „Zahl des Tages“:
Auch in der täglichen Glosse tauchte die Zahl plötzlich immer wieder auf:
Das Verfahren erinnert an Diktaturen, in denen Menschen versucht haben, Botschaften am Zensor vorbeizuschmuggeln. Gestern, an ihrem letzten Erscheinungstag, verabschiedete sich die Redaktion von ihren Lesern auf Seite 3 mehr oder weniger unauffällig mit einer sprechenden Liste ihrer „Lieblingsfilme“:
- Armageddon
- Was nicht passt, wird passend gemacht
- Titanic
- … denn sie wissen nicht, was sie tun
(„… Zukunftsangst und die Suche nach Perspektiven stehen gegen die satte Selbstzufriedenheit des gutbürgerlichen Lebens… „) - Einer flog übers Kuckucksnest
(„Ein ganzer Laden voller Irrer – und der einzige, der noch alle Sinne beieinander hat, der sagt nichts. Das erinnert Sie an Ihren Arbeitsplatz? Weit gefehlt. Der junge Jack Nicholsen probt den Aufstand in einer Nervenheilanstalt mit einer kaltherzigen Schwester an der Spitze.“) - Stirb an einem anderen Tag
- Departed – Unter Feinden
- Sterben für Anfänger:
(„… Eine fantastische, bissige Komödie aus England, die zeigt, dass Humor – und wenn es nur Sarkasmus ist – selbst die traurigsten Zeiten ein bisschen erträglicher werden lässt.“) - Der Feind in meinem Bett
(„… Es gibt ein Happy End! Das sollte es auch im wahren Leben viel öfter geben. Da aber gewinnt leider nicht immer das Gute.“) - Der Untergang
- Stirb langsam
- Jede Menge Kohle
(„… Ich sag’ nur: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen!“ Ich schätze, 120 Kollegen wissen, was ich meine.“) - Dead man walking
- Wir können auch anders
- Das Experiment
Und weil offenbar auch kritische Leserbriefe nicht veröffentlicht wurden, nutzte der Ruhrpottkarneval „Geierabend“ den Weg über eine Anzeige in der Rubrik „Grüße und Glückwünsche“, um den Abwicklern von der WAZ noch einen mitzugeben:
Mit den Grüßen gemeint sind WAZ-Eigentümerin Petra Grotkamp, deren Schulden durch die Schließung der WR schneller abgebaut werden sollen, und Geschäftsführer Christian Nienhaus.
„Die Zeitungen hierzulande sind das Kernstück einer hochentwickelten, vielfältigen Informationskultur, in der sich die unterschiedlichen Bedürfnisse, Interessenlagen und Meinungen aller Bürger widerspiegeln.“
Quelle: Bundesverband deutscher Zeitungsverleger
http://www.bdzv.de/ueber-den-bdzv/aufgaben-und-ziele/im-auftrag-der-zeitung/
Die Anzeigenkunden wurden – am Rande (siehe Link) – informiert.
Der Vergleich mit Diktaturen drängt sich mir auch schon seit einigen Tagen immer wieder auf. Und ich wundere mich, dass es nicht eine breitere Kritik an dieser Mundtodmachung seitens der WAZ-Spitze gibt. Ich frage mich ernsthaft, was ich von einer Zeitung halten soll, bzw. dem dazugehörigen Verlag, der mit freier Berichterstattung, Qualitätsjournalismus und nicht zuletzt auch kontroverser Meinungsäußerung/Kritik so wenig umgehen kann. In diesen Tagen fallen mir immer neue Gründe ein, die ich den telefonischen Drückerkolonnen nennen kann, warum ich immer noch kein Interesse daran habe, wieder die NRZ (hatte ich früher abonniert) zu beziehen.
Im Sinne des Trauermarsches: Mein Beileid an alle Betroffenen und vielen Dank für diesen Artikel hier!
@ theo: Typisch Neusprech, darin sind sie gut – gemeint ist:
„Der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger ist das Mundstück einer ruinös und selbstverschuldet heruntergewirtschafteten Zeitungsstruktur, in der die unterschiedlichen Bedürfnisse, Interessenlagen und Meinungen aller Bürger schon längst keine Berücksichtigung mehr finden.“
Da bleibt uns nur der Abendsegen: ‚Geht mit Gott – aber geht …‘
Auch hier in Unna (direkt neben Dortmund) sind wir von der Schließung sehr betroffen. Der Lokalteil kommt jetzt vom einstigen Konkurrenzblatt Hellweger Anzeiger, der bei wichtigen Themen (wie bspw. Kinderschutz, Jugendhilfeetat…) regelmäßig seine konservativen und weldfremden Ansichten zum Besten gibt. Daher geht es uns genau wie den Dortmunder Nachbarn, die ja ihren Lokalteil von den Ruhrnachrichten bekommen. Meinungsvielfalt – ade! Lars Reckermann hat im letzten Jahr die Unnaer Lokalredaktion verlassen und hat ja bei der WAZ den Posten des stellvertretenden Chefredakteurs übernommen. Wie die E-mail (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/die-westfaelische-rundschau-wird-vor-dem-tod-schon-stumm-gemacht/) wohl auf seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen hier in Unna gewirkt hat?
„Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ (Lenin)
Bin ich der einzige, der das ziemlich überzogen findet? Vermutlich ist das branchenimmanent. Wieviele Schlecker-Frauen sind eigentlich immernoch arbeitslos wegen des überkommenen Geschäftsmodells ihres Firmengründers, was machen die?
@Twipsy: Und in der Dritten Welt hungern sie.
Nachschlag
VISION:
a) Zeitungs-Journalisten, die bei dem Wort „Berichterstattung“ sooo einen dicken Hals bekommen, weil sie schon länger an der kurzen Leine hängen und längst nicht schreiben dürfen, was ihnen eigentlich wirklich unter den Nägeln brennt, weil sie ihren Job behalten wollen („NEUER JOB? IN DEM Alter? Ich will nicht PUTZEN gehen!“) und vor allem die Kohle brauchen („… war teuer, weisst schon. Und die Raten wrden nicht weniger.“)
…. und
b) Zeitungs-Journalisten, die sonst ihre Arbeit ganz gut machen aber gefeuert worden sind (und werden) weil sie sich weigern reine Hofberichterstatter zu spielen… und
c) Zeitungs-Journalisten, die das altmodisch antiquierte Ideal des „investigativen Journalismus“ immer noch in der Rolle der „vierten Säule“ einer demokratischen Nation sehen und die Zeitungsredaktion NICHT als „Hobby“ von wohlhabenden Eigentümern sehen die ihre persönlichen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzen…
… schliessen sich zusammen und stellen eine gemeinsame Zeitung auf die Beine die richtigen Journalismus bietet – weil unabhängig! Warum sollte das, was die TAZ gemacht hat nicht ncoh einmal funktionieren? Es gibt doch genügend helle und pfiffige Köpfe, die das mit der Hilfe von frustierten Sympathisanten (eine Vielzahl an enttäuschten Zeitungslesern), Sponsoren, Steuerberatern, Verwaltungsassen, Technikern und Druckern etc. auf die Beine stellen könnten.
Wir leben im 21. Jahrhundert, da müsste doch mal etwas Neues passieren, oder?
@7/twipsy
Nein, ich finde das auch übertrieben und Niggemeiers Kommentar dazu absolut lächerlich. Es gibt mehr als 20.000 Firmenpleiten kleinster und kleiner Unternehmen in einem Jahr, ohne das auch nur annähernd ein solches Gejammer veranstaltet würde. Bei Karstadt, Schlecker oder Opel schaut man alleine wegen der einzelnen Masse hin. Trifft es sie selber, neigen Journalisten eben dazu, ihren eigenen Berufsstand für derart wichtig zu halten, dass sie schon die Meinungsfreiheit eines Landes von zwei, drei Zeitungssterben bedroht sehen. Vielleicht müsste man fragen, warum der Lokaljournalismus (im Fall der FTD war es ja der Wirtschaftsjournalismus) nicht mehr attraktiv ist, so dass er als Alleinstellungsmerkmal einer Zeitung manchmal nicht mehr trägt. Kay Mackes „Vision“ (#9) finde ich wenigstens mal ansatzweise interessant (erinnert ein bisschen an den „Verlag der Autoren“ der 1960er Jahre; nicht unbedingt ein Erfolgsmodell, aber vielleicht lernt man aus den gemachten Fehlern).
Enttäuschend und ärgerlich, das Ende vor Augen haben sie es nicht fertiggebracht ihre Leserschaft zu informieren. Rückrat sieht anders aus. Lenin sollte recht behalten.
Stimmen denn die 120-Beispiele irgendwie? Wie haben das die Leser aufgenommen?
@ Gregor Keuschnig (#10): Firmenpleiten gibt es tatsächlich zuhauf, und das ist für die Betroffenen meist tragisch. Aber hier hat ja keine Firmenpleite stattgefunden, sondern jemand hat einfach eine Redaktion zugemacht und verkauft stattdessen quasi eine Kopie anderer Zeitungen, die ihm zufällig gehören, weil er mehr Geld reinkriegen wollte. Das lässt sich doch kaum vergleichen!
Die Schleckerpleite ist vielleicht auch letztlich der Geldgier geschuldet, und so mancher andere Karren ist im Dreck gelandet, weil die Lenker den Hals nicht voll genug kriegen konnten. Aber so unverblümt durchgezogen sieht man das doch selten. Außerdem hört man in der LSR-Diskussion von Zeitungsverlagen immer wieder, wie sehr Zeitungsjournalismus mit Ethik zu tun hat und mit Verantwortung für die Allgemeinheit. Da passen die Auflösung der Redaktion und die Zombifizierung der Westfälischen Rundschau nicht recht ins Bild.
@ Patrick Neser (#11): Wie denn? Wenn deren Obrigkeit da den Daumen draufgehalten hat, konnten die wahrscheinlich nicht einfach gehen und „Die schießen uns ab, verkaufen den Lesern eine Kopie der Nachbarzeitung unter unserem Namen, und wir finden das scheiße“ drucken. Wo da das Rückgrad ins Spiel kommt, sehe ich nicht. Die haben, wie es aussieht, gemacht, was ging („120“).
Ich hab mich ja lange, lange zurückgehalten, aber irgendwann reicht’s halt. Was in so manchem Kommentar unter Texten wie diesem hier oben dieser Tage zu finden ist, zeugt in Teilen schon von einer ziemlichen Ignoranz und Nichtverständnis der Lage.
Rück(g)rat bewiesen hat eine ganze Reihe meiner KollegInnen bei der WR. Es ist nicht so, dass es keine Versuche gegeben hätte, über das Thema zu berichten. Die gab es zahlreich. Bedauerlicherweise sind diese wahlweise von der Chefredaktion im Auftrag der Geschäftsführung oder von einer Aufpasserkolonne aus dem Blatt genommen worden. Dadurch, dass die KollegInnen es aber dennoch versucht haben, erwartet sie im Extremfall eine fristlose Kündigung, natürlich ohne Abfindung, und wegen „selbstverschuldeter Kündigung“ eine Sperre bei der Agentur für Arbeit. Es dennoch zu versuchen finde ich extrem ehrenwert. Das bekommt dank Zensoren leider keiner da draußen keiner mit.
An der Sache mit der Gefährdung der Meinungsvielfalt und deren Bedeutung für die Demokratie ist sehr wohl was dran. Konkurrenz zwischen Redaktionen ist enorm wichtig. Wenn es in einer Stadt nur noch eine davon gibt, entscheidet die doch mangels Konkurrenz allein, was wichtig ist und was unter den Tisch fällt. Wie etwas präsentiert wird. Es gibt eben nur noch eine Quelle, eine Meinung. Das Korrektiv „Konkurrenz“ fällt weg. Wer glaubt, das sei nicht problematisch, der ist zu bedauern und dem ist ein Blick in den Alltag jener Regionen zu empfehlen, die bereits nur noch eine Zeitung haben.
Die Schließung der WR mit 120 RedakteurInnen und geschätzten 180 freien JournalistInnen an sich mag, bezogen auf die Zahl der Arbeitsplätze, nebensächlich sein. Sie ist auch ganz sicher nicht der Zusammenbruch des demokratischen Systems in Deutschland, das wissen wir WR-RedakteurInnen auch selbst. Nur überlegt doch mal, was passiert, wenn der WAZ-Konzern damit durchkommt, dem Leser eine Zeitung ohne Redaktion zu verkaufen. Das macht dann Schule und findet Nachahmer. Was droht, ist die totale Flurbereinigung. Und das wäre dann eben doch ein Demokratie-Problem.
Unabhängig davon in welchem Zusammenhang die Schließung welche bedeutung hat finde ich es genrell lächerlich unter einen Artikel der sich mit Thema X befasst zu komemntieren das thema y ja wahlweise auch schlimm oder schlimmer sei.
Ich finde nicht das man sich für Berichterstattung oder den Komentar das man etwas scheiße findet genrell rechtfertigen müsste nur um klar zu machen das man andere Dinge ja ebenso scheiße findet, da würde man ja beim berichten gar nicht mehr fertig werden vor lauter Fußnoten die auf andere Dinge verweisen die eben auch beachtung verdienen.
Ansonsten, wen interessieren Firmenpleiten wo es doch Bügerkriege gbt über die man rechtschaffen erbost sein kann.
[auf wunsch des kommentators gelöscht]
Da gab es durchaus schon schönere Murmeltiertage.
@Kachelmann Hast du damals in London auch schon Häuser besetzt oder kam die revolutionäre Phase erst mit erfindung der virtuellen kommentarfunktion?
@18 Ich haette ueber den Altersabschnitt 18-25 einiges in der Richtung zu erzaehlen, ja. Aber tut nix zur Sache.
#19: Na ja, wenn ich mir die hysterische Blogger-sind -scheiße-Debatte in Erinnerung rufe, klang das jedenfalls schon ziemlich überheblich von der, hüstel, entrüsteten Branche. Das roch etwas nach dem was #16 auf etwas unsensiblere Weise angedeutet hat – was man ihm ja nicht ganz verübeln kann, nachdem wie einige mit ihm umgegangen sind. Aber angesehen davo: das Kernproblem liegt im Abhängigkeitsprinzip „Wes Brot ich ess…“
Solange das so ist, kann man von keinem erwarten dass er aufbegehrt („Nein Chef! SO nicht“ = freiwillig aus dem Fenster springen), nur weil er nicht den Laufburschen des Chefs spielen will. Die meisten halten eben die Klappe – sei’s aus Angst oder weil es ihnen egal ist. Oder weil’s vielleicht wirklich in den Genen liegt, keine Ahnung. Dabei sind die frechen Franzosen-Demonstanten, die sonst bei jeder Gelegenheit am liebsten des Gegners Büro kurz- und kleinhacken, ja eigentlich aus der gleichen Familie, den Karls & Co. , also stimmt das mit den Genen nicht.
Ich glaub, ich weiß woran es liegt: die Leute VERTRAUEN sich nicht gegenseitig! Vermutlich denkt sich eh jeder, dass „die Anderen“ sich ebenso passiv verhalten würden („ein jeder ist sich selbst am nächsten“), käme es hart auf hart. Nur eine Theorie.
Oh manno, da passt man mal eine Minute nicht auf und der Hausherr verschiebt einfach die Reihenfolge! ;-)
Genau wie in Diktaturen? So ein Scheiss! Das ist nicht wie in Diktaturen. Da wurde ein Teil, der viel Geld kostet, geschlossen, weil der Eigentümer Schulden abbauen muss. Diese Seite ist noch online, also keine Zensur. Soweit ich weiss, sind auch noch die meisten anderen Seiten im Einzugsgebiet der betroffenen Zeitung(en) erreichbar. Twitter, so hab ich mir sagen lassen, geht auch noch.
Und im Gegensatz zu anderen Leuten denke ich, dass Journalisten auch nur Brötchen verkaufen.
Und wo war eigentlich der Aufschrei, als der Freitag Stellen strich? Aber das ist ja einer von den Guten, der verdient daran ja nicht, sondern zahlt ja sowieso drauf.
Die Meinungsvielfalt geht mit der Schließung eines regionalen Wurstblatts eher nicht unter. Dafür gibt’s doch nun wirklich längst das Internet mit seinen Unmengen an Meinungen. Muss sich halt alles nur noch etwas ordnen und strukturieren.
@9/Gregor Keuschnig
Nehmen wir mal an, Ihr Lieblingsbier sei Hövels, Wicküler, Jever, Schlösser Alt oder was man in Düsseldorf sonst noch so für Bier hält. Die gehören bekanntlich alle zum gleichen Hause (welches, das sage ich an dieser Stelle nicht, kann man aber googlen).
Nun findet aber die Brauereigruppe, dass sie einfach zu viele unterschiedliche Biere brauen, und beschließt, alle Marken nur noch mit dem gleichen Bier zu bedienen. Als dasjenige Bier, das überall unter verschiedenen Namen ausgeschenkt wird, nehmen sie Hansa-Pils. Oder – noch schöner – Küppers Kölsch.
Wie würden Sie da reagieren? Einfach das Bier trinken, das unter dem Namen Ihres Lieblingsbieres angeboten wird, auch wenn’s nicht mehr so schmeckt? Und wie fänden Sie es als freier Bierbrauer, wenn Sie hörten, dass 120 andere Brauereibeschäftigte wegen dieses Etikettenschwindels ihren Job loswerden?
@ Ex-Redakteur
Zunächst mal darf ich meiner Erleichterung darüber Ausdruck verleihen, dass sie als Journalist wenigstens wissen, wie man „Rückgrat“ richtig schreibt.
Sie berichten, dass von der Schließung der WR auch 180 freie Journalisten betroffen sind. Warum war die „Zahl des Tages“ dann nicht 300, sondern nur 120?
Es geht nicht darum, wie die Meinungsfreiheit tangiert wird, weil eine Zeitung eingestellt wird. Es geht darum, wie unfrei eine Presse ist, wenn es um die eigene Sache geht.
Mag sein, dass Kommentatoren wie Patrick Neser in einer solchen Situation viel mutiger wären. Ich wünsche ihm nicht, dass er das eines Tages beweisen muss.
Hoffe ich ja auch nicht für mich.
Danke an den Ex-Redakteur, den Faden aufzugreifen. Das fehlende Rückgrat (hergottnochmal ich komm‘ halt einfach nicht mit der Edit-Funktion dieses Blogs zurecht) nehme ich zurück.
[…] [text] klopfzeichen aus einer sterbenden zeitungsredaktion (stefan niggemeier) […]
@25: this!
„Warum war die »Zahl des Tages« dann nicht 300, sondern nur 120?“ (# 25)
DAS würde mich allerdings auch interessieren!
Ich wünsche den betroffenen Redakteuren von ganzem Herzen, dass sie beruflich eine neue Perspektive erhalten. Mit der oben aufgezeigten Kreativität und dem Mut im Umgang mit der verlagsinternen Zensur stellen sie ihre Kompetenz eindrucksvoll unter Beweis.
Die Grundfrage ist hier doch weniger der Verlust der Arbeitsplätze, so bedauerlich der ist, sondern die Frage ob man dem Leser wirklich eine Zeitung ohne Redaktion verkaufen kann.
Wo bleibt, oder wie wichtig ist der bisher erarbeitete Inhalt. Wenn die „Umstellung“ dem Leser egal ist, also die Zeitung sich dennoch verkauft, dann wäre die Entscheidung evtl. richtig.
Wenn es aber dazu führt, dass die Zeitung sich soweit vom Leser entfernt, dass die Zeitung nicht überleben kann dann war die Entscheidung falsch.
Was zur Grundfrage führt.
Was will der Leser (Aktualität, Unterhaltung, Tiefe)? Wo findet es der Leser (gedruckt oder anders)? Wann will er es (auf Abruf oder im Briefkasten?). Also sind wir wieder bei der Frage nach der Zukunft der Zeitung, des Journalismus.
Man wird nach der Funktion des Mediums für den Kunden fragen und Form und Inhalt seinen Wünschen anpassen müssen. Der Leser entscheidet über die Zukunft, nicht die politische, moralische oder gesellschaftliche Bedeutung, die man sich selbst gibt.
Letztlich sind echte Innovationen gesucht. Noch sehe ich sie nicht. Nur ein „Weiter so“ wird nicht funktionieren.
#32: Welche Redaktion ist mit ihren Nachrichten glaubhafter:
a) die inhabergeführte und auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen, deren interne ideologische Richtlinien aussieht wie die Nasenumrisslinie des Chefs?
oder
b) eine unabhängige Redaktion, deren Mitglieder (nach außen sichtbar) weder politisch noch wirtschaftlich oder in auf sonstige Weise „korrumpierbar“ sind?
Mir kommt es so vor, dass sich der heutige Zeitungsjornalismus auf die bisherige Art selbst überlebt hat. Die „Nachrichtenbeschaffung“ fühlt sich für mich an wie die Bäckerketten mit ihren immergleichen Backmischungen, die keine wirklich zu unterscheidende Produkte anbieten, die alle gleich aussehen und schmecken. Das liegt natürlich an der Handvoll Nachrichten-Großmärkte, an die sich fast jede Agentur für einen monatlichen oder jährlichen Obulus binden und deswegen immer die gleichen Schlagzeilen und Inhalte runternudeln, die Republik rauf oder runter: immer die gleiche Soße! (Genauso wie im TV: Einheitsbrei und Konserven – die Privatsender zeigen wenigstens noch Profil mit ihrem unnachahmbarem Braindead-Trash).
Ein Weg für Zeitungen wieder ordentlich Fuss zu fassen, wäre meiner Meinung nach wenn sie beginnen wieder glaubwürdiger und attraktiver zu werden. Also zurück zu den Wurzeln zu gehen und wieder eine Zeitungskultur zu schaffen wie in den Anfängen des Medium: wer hat MEHR Informationen? Wer ist SCHNELLER? Wer DECKT auf? Wer ENTHÜLLT mehr? Wer erwirkt mehr RÜCKTRITTE usw.
Natürlich erfordert diese Art von Journalismus etwas mehr Einsatz als bisher (Schreibtisch ade) und wo gehobelt wird, fallen auch Späne (draußen parkt seit Stunden ein großer, dunkler Mercedes). Aber DAS Leute, seid mal ehrlich, ist doch WIRKLICHER Zeitungsjournalismus! Unbequem, spannend, neugierig machend (am besten mit Fortsetzungsstories, damit sich das Blatt auch verkauft) und von diversen Politikern, Unternehmen und Gangstern gefürchtet.
DAFÜR würde ich sogar zu Fuss zum Kiosk gehen und mir eine Zeitung kaufen.
Was für ein lächerliches Theater: eine Zeitungsredaktion, die für ihr Produkt nicht mehr genügend Leser findet, wird dicht gemacht und die Welt geht angeblich unter. Akzeptiert endlich, dass auch für Medien Marktgesetze gelten, und dass, was da abgewrackt und ausgelutscht ist, weg muss,damit Neues kommen kann oder, falls kein Bedarf mehr besteht, eben auch gar nichts. So einfach ist das.
Nur weil die Maulwerksburschen auf dem Medienstrich Lärm machen können, sollen wir glauben,dass dieRepublik in Gefahr ist, wenn eine ihrer Buden dicht machen muss.
Ich freu mich drauf, dass dieses Gewerbe hoffentlich noch mehr solche Abgänge wird hinnehmen müssen.
@Heribert Seifert
Wenn man einer Sache nichts mehr hinzufügen kann, dann sollte man das auch mal so anerkennen: 100% Zustimmung.
Vielleicht dies noch: Wenn eine Zeitungsredaktion zugemacht wird, dann ist das in etwa so sehr das Ende der Meinungsfreiheit, wie es eine Hungersnot auslöst, wenn eine Dönerbude schließt.
#35: Die Marktgesetze sind es ja, die die (klassischen) Zeitungen überflüssig machen. Oder warum sonst würden wir Blogs wie dieses hier aufsuchen?
Komisch, dass es noch nicht erwähnt wurde: Die Ruhrbarone wollen die hinterlassene Lücke füllen.
http://www.ruhrbarone.de/category/dortmund/
Ende der Meinungsvielfalt? Wohl eher nicht.
#37: … kann ich ebenso http://alles-schallundrauch.blogspot.de/ besuchen, das andere Ende der Snackbar. Im Leben nicht. „Meinungsvielfalt?“ Wie bei „Achse-des-Blöden“? Verstehe.
„Ja und? Täglich machen Firmen pleite“. Ja. Und als abhängig Beschäftigter solidarisiert man sich normalerweise mit den armen Schweinen, die für die Fehler ihrer Vorgesetzten nichts können.
„Mit mir ist auch keiner solidarisch.“ Wenn man immer schön die Arschloch-Fahne hochgealten hat, kein Wunder…
[…] WR: Klopfzeichen aus einer sterbenden Zeitungsredaktion (Stefan Niggemeier) – […]
@9/Kay Macke: „Warum sollte das, was die TAZ gemacht hat nicht ncoh einmal funktionieren?“ Nunja, so sehr ich die taz journalistisch schätze – ökonomisch funktioniert sie nicht so richtig. Dass es mit dieser Zeitung halbwegs klappt, beruht einerseits auf massiver Selbstausbeutung der Beteiligten, andererseits auf der Sondersituation, dass man hier eine kleine linksliberal-ökologisch-intellektuelle Zielgruppe hat, die sich schwerpunktmäßig auf eine Handvoll Metropolen konzentriert. Aber eine Alternative für einen Lokalredakteur, der sich für ein bürgerliches Lebensmodell in der Dortmunder Provinz entschieden hat, kann es nicht sein, ein idealistisches Blatt zu einem Bruchteil des Tariflohns zu machen. (Zumal die Konkurrenz aus der Geburt der taz gelernt haben dürfte. In Hamburg gab es einmal den Versuch, mit der „Hamburger Rundschau“ eine Alternative zu den hier tonangebenden Springerblättern zu launchen – das ließen sich die Platzhirsche nicht bieten und starteten einen Preiskampf, der bei allem Idealismus nicht zu gewinnen war.)
37, twipsy:
Die Ruhrbarone und Meinungsvielfalt – das ist schon ein netter Gedanke. Ich könnte mich daran gewöhnen, wenn ich da irgendwo einen Text finde, der z.B. in Sachen Rauchverbot nicht einseitig gegen Verbote ist. Oder einen Text über Barbara Steffens, in dem nicht volles Rohr gegen sie geschossen wird. Oder einen Text über Israel, der sich nicht liest wie von der israelischen Regierung selbst geschrieben.
Die Liste ließe sich fortführen und wird garniert von einer bemerkenswerten Zensur bei den Kommentaren.
Meinungsvielfalt in dem Sinne, dass zu dem Angebot ein weiteres hinzukommt. Nicht so zu verstehen, dass die Ruhrbarone alle Meinungen vertreten. Aber ich wette, Du findest zu Deinen Meinungen auch eine Seite die sie vertritt.
Twipsy,
der bekennende Wirtschaftsliberale und Grünenhasser Stefan Laurin (Ruhrbarone) soll die Position der Westfälischen Rundschau übernehmen?
Krass ist einfach, dass derjenige, der sich nur auf Ruhr Nachrichten oder WR für seine regionale Informationen stützt, von der ganzen Sache gar nichts mitbekommen wird. Da hilft dann auch kein Internet.
[…] Stefan Niggemeier erklärt, wie unter der Hand und ohne Öffentlichkeit die Redaktion geschlossen werden […]
Immerhin gab’s in der WAZ diesen Bericht:
http://www.derwesten.de/region/hunderte-trauern-der-eigenstaendigen-westfaelischen-rundschau-nach-id7558422.html
[…] Klopfzeichen aus einer sterbenden Zeitungsredaktion « Stefan Niggemeier – Dinge, die bleiben, wenn nicht berichtet wird. Für wie doof hält die WAZ-Mediengruppe eigentlich ihre Leser_innen? […]
[…] geschlossen, darf aber nicht wirklich drüber schreiben, dass alle Redakteure rausfliegen und wählt deshalb kreative Wege. Den Leser lässt man also im eigenen Medium im Dunkeln was mit der Zeitung passiert. Was man […]
@Ex-Redakteur: Du schreibst „Nur überlegt doch mal, was passiert, wenn der WAZ-Konzern damit durchkommt, dem Leser eine Zeitung ohne Redaktion zu verkaufen. Das macht dann Schule und findet Nachahmer.“
Äh… Das macht die WAZ doch schon längst, es nennt sich Lokalkompass.de und fordert den „Bürgerreporter“, seine Texte unentgeltlich ins Netz zu stellen. Sportvereine nutzen das, Bürgergruppen, etc. Das ist nichts anderes als eine lokal/regionale Webzeitung, die zwar noch von ein paar Mitarbeitern technisch betreut wird (und offenbar auch redaktionell soweit redigiert, dass extremistische Inhalte rausfliegen), ansonsten ist das, wovor du Angst hast, längst mit einigen Abstrichen Realität.
Wenn eine Zeitung „stirbt“, liegt das offenbar daran, dass sie zuwenig gelesen wird. Und das wiederum liegt bei den meisten Lokalblättern daran, dass es ganz fürchterliche Käseblätter mit unfähigen Redakteuren und mittelmäßigen Journalisten sind. Jede Einstellung eines solchen Käseblattes ist für den deutschen Zeitungsmarkt ein Qualitätsplus. Insbesondere, wenn die Zeitung zur WAZ-Gruppe gehört. Diesen Leuten muss man keine Träne hinterherweinen.
Absurd, dass der Blog Ruhrbarone als Ersatz für die Lokalzeitung Westfälische Rundschau gehandelt wird. Die Postings des Blogs sind tendenziös, boulevardesk, ehrverletzend und verstoßen gegen jegliche journalistische Berufsethik. Das musste ich als Journalistin leider schon selbst erfahren http://bit.ly/ODmPFq – wie andere Menschen auch http://bit.ly/14E05dZ.
Auch das Landgericht Bochum hatte das Portal bereits im Blick: Es hat den Autoren unter Strafandrohung verboten, einer Band Antisemitismus in ihren Texten zu unterstellen: http://bit.ly/Xo5fF1.
Zudem verfasst Stefan Laurin auch unter seinem Pseudonym Georg Kontekakis – was er bestreitet. Aber so tippt er munter drauf los, ohne jegliche journalistische oder menschlich würdevolle Form zu wahren. Das ist mit journalistischem Ethos nicht zu vereinbaren.