Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Als sich die UN-Menschenrechtskommission 2002 mit dem kommerziellen Zwergenweitwurf beschäftigte, ging es formal nicht um die Frage, ob diese Praxis gegen die Menschenwürde verstößt. Im Gegenteil: Es ging darum, ob durch ein Verbot des Zwergenweitwurfs in Frankreich kleine Menschen diskriminiert werden. Geklagt hatte einer kleiner Stuntman, der sich professionell in Bars und Clubs als Wurfgeschoss anbot und sich durch das Gesetz entmündigt sah: Als ob kleine Menschen nicht selbst entscheiden könnten, was sie mit sich machen lassen.
Das würde RTL gefallen. Ist es nicht auch ein Menschenrecht, sich von dem Schlager- und Fäkalienproduzenten Dieter Bohlen vor einem Millionenpublikum demütigen lassen zu dürfen? Es wird ja niemand gezwungen, sich bei „Deutschland sucht den Superstar“ zu bewerben oder den damit verbundenen Vertrag zu unterschreiben, der es den Fernsehleuten erlaubt, ungefähr alles mit den Aufnahmen anzustellen. Und nach all den Jahren könnte man wissen, wie in dieser Show mit Menschen und ihren Schwächen umgegangen wird.
Aber zum Zwergenwerfen gehören zwei: Einer, der sich werfen lässt. Und einer, der werfen will. Das muss man auch erst einmal wollen: Einen verstörten jungen Kandidaten vor der Kamera Liegestütze machen lassen, damit man hinterher Sex-Geräusche darunter legen und sein Schwärmen für Jurorin Nina Eichinger veralbern kann. Auf jedem Missgeschick, jeden körperlichen Makel eines Bewerbers herumreiten und seine Selbstüberschätzung, seine Naivität, seine Erfolgssucht ausnutzen. Einen Dieter Bohlen mit seinem asozialen Verhalten zum bewunderten Vorbild aufbauen.
Die Diskussion um „DSDS“ wird von RTL erfolgreich auf die Frage reduziert, ob man so mit Menschen umgehen darf. Verdrängt wird dadurch die Frage, ob man so mit Menschen umgehen muss. Ob für die Mitarbeiter des Senders und der sich selbst für besonders verantwortungsvoll haltenden Produktionsfirma Grundy nicht auch Grenzen gelten könnten, die durch eigene Verantwortung bestimmt und nicht durch Gesetze vorgegeben sind. Bezeichnenderweise wird die „Es wird ja niemand gezwungen“-Formel nie auf die Fernsehmacher angewandt: Es wird ja niemand gezwungen, jemanden bloßzustellen, nur weil der sich bloßstellen lässt.
Die Uno hat die Beschwerde des kleinen Stuntman übrigens abgelehnt.