Paul

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Falls Sie die letzten vier Wochen von der Außenwelt abgeschnitten waren: Paul ist ein Oktopus, der in einem Aquarium lebt und scheinbar alle Spiele der deutschen Nationalmannschaft richtig vorhergesagt hat (er wählte jeweils aus zwei Essensbehältern mit Flaggen). Das ist statistisch gesehen nicht viel unwahrscheinlicher als die FDP, gibt aber Anlass zu lustigen Wortspielen wie „Okrakel“ und den Medien die Möglichkeit, über etwas anderes zu berichten als Fußball, ohne über etwas anderes zu berichten als Fußball.

Ich weiß schon, dass das mit Paul ein Spaß ist. Ich weiß nur nicht, ob alle anderen das noch wissen. 600 Fernsehsender sollen Pauls letzte Essenswahl am Freitag gezeigt haben. N24 unterbrach sein Programm und übertrug live. Konkurrent n-tv machte noch die Abendnachrichten mit Pauls Prognose auf. Weil Paul vor dem deutschen Spiel gegen Spanien die spanische Kiste wählte und Spanien tatsächlich gewann, wurde aus dem Aberglauben, dass das Tier den Ausgang eines Spieles richtig vorhersagen kann, plötzlich der Aberglaube, dass das Tier den Ausgang eines Spieles bestimme (entsprechend wurden nun Tintenfisch-Rezepte veröffentlicht).

In vielen Meldungen über Pauls Prognosen wirkt es, als sei die Möglichkeit, mithilfe einfachster Mathematik die Wahrscheinlichkeit einer solcher Trefferserie zu berechnen, der größere Akt der Magie als die Möglichkeit, dass Paul das Ergebnis vorhersagen kann. Die vermutlich dümmste Paul-Geschichte kam im Gewand der Schein-Aufklärung daher: In einem dpa-Korrespondentenbericht sagte ein Tintenfisch-Forscher, man könne auf die Vorhersagen gar nichts geben — weil der Kraken zum Beispiel vermutlich gar nicht die Farben auf den Fahnen erkennen könnte! „Krakenexperte gibt Entwarnung“, titelte dpa.

Ich wollt ich wär / unter dem Meer / im Garten eines Kraken… und zusammen würden wir den ganzen Tag über die Beklopptheit der Menschen lachen und weinen.

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