In der vergangenen Woche gab die WAZ-Gruppe bekannt, aus der „Westfälischen Rundschau“ einen Zeitungszombie zu machen. Die komplette Redaktion mit 120 Redakteuren und einer noch größeren Zahl freier Mitarbeiter wird geschlossen, aber die Hülle bleibt erhalten. Gefüllt wird sie von Februar an mit Inhalten anderer, teils bisher konkurrierender Blätter.
Politiker und Leser protestierten gegen die Entscheidung. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass das dadurch entstehende „Meinungsmonopol“ auf dem Dortmunder Zeitungsmarkt im Interesse der Dortmunderinnen und Dortmunder sei. Hermann Hupe, Bürgermeister in Kamen, hätte sich „angesichts der Finanzkraft der WAZ-Gruppe“ gewünscht, dass nicht 120 Existenzen in Frage gestellt werden: „Die Rigorosität dieser Entscheidung ist nicht zu verstehen.“ Die SPD-Bundestagsabgeordneten aus der betroffenen Region sprachen von einem „Schlag gegen Meinungsvielfalt und guten Journalismus“.
So stand es am Donnerstag auch in der „Westfälischen Rundschau“:
Doch zu sehen bekam diese Seite nur ein kleiner Teil der Leserschaft: jene, die die Zeitung per Post zugeschickt bekommen. Diese Ausgabe hat einen besonders frühen Redaktionsschluss. Danach wurde offenbar ein Aufpasser, vielleicht in der Zentrale des Konzerns in Essen, aufmerksam auf die Berichterstattung — und ließ sie aus den späteren Ausgaben entfernen. Dort wich der Artikel der brisanten Nachricht, dass Autofahrer bei Schnee mehr Zeit für den Arbeitsweg brauchen, es aber nach Angaben der Behörden aktuell für die Jahreszeit nicht übermäßig viele Unfälle gibt:
Die Seite war abends, als die Redakteure der „Westfälischen Rundschau“ schon zu Hause waren, ausgetauscht worden. Sie sollen das erst am nächsten Morgen bemerkt haben.
Nicht verhindern konnten oder wollten die Verantwortlichen nur, dass die Redaktionsschließung Thema der täglichen Glosse in der Zeitung war:
Auch die Kollegen von der „WAZ“ nutzten diesen Ort für einen solidarischen Witzstreik:
(„Sicherheit war einmal“ ist allerdings ein merkwürdiger Satz in diesem Zusammenhang. Als ob das Ungeheure an dem Vorgang oder das Bedrohliche an der Entwicklung in der Zeitungsbranche insgesamt darin bestehen würde, dass Redakteure sich nicht mehr darauf verlassen können, einen Arbeitsplatz auf Lebenszeit zu haben.)
Am Donnerstagnachmittag machte Lars Reckermann, der stellvertretende Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“ den Maulkorb quasi offiziell. In einer Mail an die Lokalredaktionen schrieb er:
„Liebe Kollegen, aus übergeordnetem Interesse und mit Blick auf Verhandlungen, die zumindest noch einigen Kollegen die Möglichkeit geben könnten, weiterzuarbeiten, darf im lokalen eine Berichterstattung die WR betreffend nicht stattfinden.“
Wessen Interesse hier das „übergeordnete“ ist, darüber kann man spekulieren. Sicherlich nicht das der Öffentlichkeit. Und im Zweifel auch nicht das der betroffenen Journalisten. Dann schon eher das der Geschäftsführung, die die Nachricht, dass sie die WR-Redaktion abschafft, auf Neusprech formuliert und mit dem Satz begonnen hatte: „Die WAZ Mediengruppe stellt sich in ihrem nordrhein-westfälischen Kerngebiet zukunftssicher auf.“ Und dann ist da natürlich das noch übergeordnetere Interesse von Petra Grotkamp, die gerade sehr viel Geld dafür ausgegeben hat, die Mehrheit an der WAZ-Gruppe zu übernehmen, weshalb die WAZ-Gruppe jetzt mehr Gewinn machen muss, damit sie diese Schulden abbezahlen kann. (Zufällig steht Grotkamp für den konservativen Teil der Eigentümer, und die WR ist bzw. war eher SPD-nah.)
Auch der Hinweis, dass eine Berichterstattung die Chancen von Mitarbeitern gefährden könnte, übernommen zu werden, lässt tief blicken. Was vordergründig wie Sorge um die Kollegen klingt, bedeutet letztlich wohl eher, dass die Angst und Resthoffnung der Redakteure genutzt wird, selbst in den letzten Tagen der Existenz ihrer Redaktion noch Wohlverhalten und Schweigen zu erkaufen.
Und so durfte die WR also auch nicht darüber berichten, dass gestern in Dortmund viele Hundert Menschen gegen den „Kahlschlag“ bei der WR demonstriert haben. Auch die anderen Blätter der WAZ-Gruppe und der gemeinsame Online-Auftritt schweigen die Proteste tot.
Bernd Berke, der früher selbst für die WR gearbeitet hat, berichtet im „Revierpassagen“-Blog, dass am Rande der Veranstaltung das Gerücht zu hören war, dass selbst eine WR-Schlagzeile zur Kältewelle („Es hat uns eiskalt erwischt“) vor Drucklegung gestrichen worden sei, weil man sie als Anspielung auf die Schließung der WR-Redaktion hätte verstehen können.
Nachtrag/Korrektur, 21. Januar. In der heutigen Ausgabe berichtet die WR in einem Fotokasten über die Demonstration:
Auch online findet sich seit gestern Abend eine Fotostrecke.
Der Schnee ist wirklich eine hochaktuelle Hammer-Nachricht – dagegen sind 130 Arbeitsplätze natürlich Kleinkram. Würde mich interessieren, wie die Redaktion diese Prioritätensetzung begründet. Mal nachgefragt?
Die Redaktion hatte mit dieser Prioritätensetzung offenbar nichts zu tun.
Soviel zum Thema: Qualitätsjournalismus . Und da wundern sich die Verlage, dass sie der Reihe nach sterben (müssen)?
Leute bei der WAZ, ihr müsst besser löschen!!
http://www.derwesten.de/suche/?q=kahlschlag
Wenn man den Unternehmensweg der WAZ-Unternehmen in den letzten Jahren betrachtet, dann stößt man auf zahlreiche Lehrstücke in Sachen Managementversagen. Wenn man weiter versucht, ein Verlagshaus mit dem Rotstift und der Zitronenpresse zu führen, alte Männer Entscheidungen treffen lässt, über Dinge, die sie nicht verstanden haben…. dann ist der Fall WR später und rückblickend nur ein kleiner Baustein in einem noch größeren Zusammenbruch gewesen.
„Gefüllt wird sie von Februar an mit Inhalten anderer, teils bisher konkurrierender Blätter.“
Das gilt natürlich auch, so WAZ-Geschäftsführer Manfred Braun in der Verkündigungsbetriebsversammlung, für Online-Inhalte. In Dortmund z.B. füllt dann Lensing-Wolff die Stellülätze in derwesten.de.
[…] Die “Westfälische Rundschau” wird vor dem Tod schon stumm gemacht « Stefan Ni… Und so durfte die WR also auch nicht darüber berichten, dass gestern in Dortmund viele Hundert Menschen gegen den »Kahlschlag« bei der WR demonstriert haben. Auch die anderen Blätter der WAZ-Gruppe und der gemeinsame Online-Auftritt schweigen die Proteste tot. […]
[…] Die “Westfälische Rundschau” wird vor dem Tod schon stumm gemacht (Stefan Niggemeie… – Stefan Niggemeier greift die merkwürdigen Praktiken der Wesfälischen Rundschau (WR) bzw. der Verlagsbosse der WAZ-Mediengruppe in Essen gekonnt auf. […]
Das wird die berühmte „Freie Prsse“ sein.
Heute ist ein großer am Kiosk für Totholzverwerter. Die werden alle titeln: „Spannender Wahlabend, Entscheidung lässt auf sich warten“ LOL
Ein großer Tag meinte ich.
[…] Die “Westfälische Rundschau” wird vor dem Tod schon stumm gemacht: In der vergangenen Woche gab die WAZ-Gruppe bekannt, aus der »Westfälischen […]
@Randle P. McMurphy: Na ja, ein Manager wird wohl kaum die Seite umgebaut haben. Da braucht es schon einen willigen Redakteur, der sich genügend einschüchtern lässt.
Waren die Inhalte der WR nicht sowie so schon zumindest in Teilen Füllmaterial aus anderen Zeitungen, insbesondere der WAZ selbst?
Am Kiosk sehen beide Zeitungen für mich immer SEHR ähnlich aus.
Definitiv eine miese Nummer was die WAZ-Gruppe mit der WR-Redaktion abgezogen hat, aber die Entscheidung zur Einstellung ist erstmal nachvollziehbar. Wer braucht schliesslich gleich mehrere identisch aussehende Zeitungen am Kiosk?
@DCF: Der Mantel stammt seit 4 Jahren von einem gemeinsamen „Content-Desk“der WAZ-Gruppe.
Das ist so nicht korrekt. Teile des Mantels stammen vom Content Desk. Seite 3 und 4, die regionalen Seiten im Mantel, z.B. werden aber bis heute komplett von einer eigenen WR-Redaktion produziert. Darüber hinaus variiert vor allem die Wirtschaftsseite im Mantel die von der Zentrale angebotenen Themen. Die WR verfügt also immer noch über eine eigene Mantelredaktion die je nach Personalstärke und Vermögen einen völlig anderen Mantel produzieren kann, als den vom Content Desk angebotenen. Wenn man WAZ- und WR-Mantel nicht nur mal an einem Tag vergleicht, sieht man das sofort.
[…] Redakteure so erleben können, hat Stefan Niggemeier beleuchtet: Die Westfälische Rundschau wird vor dem Tod schon stumm gemacht. 50.732704 7.096311 Teilen Sie dies mit:FacebookTwitterGoogle […]
Erinnert mich alles etwas an die Netzeitung.
[…] Die “Westfälische Rundschau” wird vor dem Tod schon stumm gemacht « Stefan Niggemeier Kommerzielle Massenmedien: “Auch der Hinweis, dass eine Berichterstattung die Chancen von Mitarbeitern gefährden könnte, übernommen zu werden, lässt tief blicken. Was vordergründig wie Sorge um die Kollegen klingt, bedeutet letztlich wohl eher, dass die Angst und Resthoffnung der Redakteure genutzt wird, selbst in den letzten Tagen der Existenz ihrer Redaktion noch Wohlverhalten und Schweigen zu erkaufen.” […]
Jaja – mit einem Leistungsschutzrecht wäre das bestimmt nicht passiert … ;-D
Herr Keese, übernehmen Sie …
//Sarkasmus off
Wieder ein Opfer des fehlenden Leistungsschutzrechts.Es will ja immer keiner einsehen, dass wir die Guten sind und nur die Meinungseinheit verteidigen wollen. Just because you’re paranoid doesn’t mean we’re not after you. Klingt jetzt zusammenhangslos, ist aber so.
Die Bildredaktion wird übrigens mittlerweile mit Essensmarken bezahlt.
[…] Westfälische Rundschau II: vor dem Tod schon stumm gemacht … niggemeier […]
Als früherem Leser von WR und WP wundert es mich eh, das die so lange durchgehalten haben. Das einzig exklusive darin waren die Todesanzeigen und die Angebote vom Supermarkt (zumindest für die zahlende Abonnentin). Ach ja, und die Fussballberichterstattung aus Kreis- und Bezirksliga.
[…] Blattes geschlossen; 120 Redakteure und etwas mehr freie Mitarbeiter sind davon betroffen. Die WR soll als Zeitungszombie scheinbar weiterleben, gefüllt seit heute mit Inhalten anderer, bislang konkurrierender […]
[…] das "Zeitungssterben" erfahren möchte kann hier nachlesen: Artikel zur FTD in der Zeit Online und Stefan Niggemeier zur Westfälischen Rundschau] […]
[…] Die “Westfälische Rundschau” wird vor dem Tod schon stumm gemacht « Stefan Niggemeier Und so durfte die WR also auch nicht darüber berichten, dass gestern in Dortmund viele Hundert Menschen gegen den »Kahlschlag« bei der WR demonstriert haben. Auch die anderen Blätter der WAZ-Gruppe und der gemeinsame Online-Auftritt schweigen die Proteste tot. […]