Der Spiegel
Kentern, das: Untergang in der Flut nautischer Sprachbilder über die Piratenpartei.
Es hätte, wie immer, schlimmer kommen können. Wenn etwa eine Partei in unser Bewusstsein und die Parlamente drängte, die sich „Die Schlümpfe“ nennen würde. Dann würden wir jetzt auf Jahre hinaus jeden Morgen mit Schlagzeilen aufwachen, in denen jemand ein beliebiges unschuldiges Verb durch das Wort „schlumpfen“ ersetzt hätte.
Die Realität ist kaum besser. Man würde so gerne formulieren, dass der Aufstieg der Piratenpartei auch die Fantasie der Journalisten angeregt hat. Tatsächlich scheinen sie sich eher zu einem Marathon herausgefordert zu fühlen, in dem derjenige gewinnt, der am längsten braucht, um von einer totgerittenen Metapher abzusteigen.
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Piraten jemandem in einer Meldung „davonsegeln“, auf einer „Erfolgswelle“ oder „mit Rückenwind“, manchmal „trotz Sturmböen“. Gute Umfragewerte führen zur Überschrift: „Mehr als eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“, und wenn einer über eine unbedachte Bemerkung stolpert, lassen die Piraten ihn „über die Planke gehen“.
Man möchte die Piraten schon dafür verfluchen, dass sie durch ihren Namen, ihre Symbolik und einen Slogan wie „Klarmachen zum Ändern“ den politischen Journalisten einen Zugang zu dieser aufregenden Welt voller bunter Sprachbilder geschenkt haben. Nun glauben die, sie könnten mit einem schnellen Griff in diese Wörterkiste aus jeder tristen Politikmeldung einen Mini-Abenteuer-Roman machen.
Kommt es zur „Meuterei“ gegen den Piraten-Chef, lautet die Schlagzeile: „Segel gesetzt: Kapitänswechsel auf der Piratenbrücke“ oder auch: „Bundes-Bernd auf Kaperfahrt“. Je nachdem, wie die Partei mit Extremisten umgeht, heißt es: „Piraten zeigen Flagge gegen rechts“ oder: „Augenklappe rechts“. Eine Nachrichtenagentur meldet: „Auf dem Piratenschiff knarzt es ordentlich im Gebälk. … Der Kahn der Freibeuter hat eine derart rasante Fahrt aufgenommen, dass manche Spitzenkräfte völlig überlastet die Segel streichen.“
Vermutlich ist es nur gescheiterten Honorarverhandlungen zu verdanken, dass bei Anne Will zum Thema „Piraten entern Berlin – Meuterei auf der ‚Deutschland'“ nicht auch Johnny Depp als Experte mitdiskutierte. Aber für den Sieg in der inoffiziellen Metaphernmischmeisterschaft hätte es eh nicht gereicht. Vorne müsste „Bild“-Mann Nikolaus Blome liegen, Erfinder des Wortes von den „Freibier-Freibeutern“.