Der „Stern“ glaubt, ein Monopol auf Fakten zu haben

Der „Stern“ glaubt, er besitze das „Urheberrecht“ an den Ergebnissen seiner Recherche. Er irrt.

Die Hamburger Illustrierte hat eine einstweilige Verfügung gegen die FDP erwirkt. Die Partei hatte einen Fragenkatalog, den ihr der „Stern“ über zweifelhafte Geschäfte von FDP-Tochterfirmen zugeschickt hatte, samt Antworten online veröffentlicht.

Der „Stern“ sieht sich dadurch in seiner Existenz bedroht. Sein Rechercheur Hans-Martin Tillack schreibt:

Wenn wir Journalisten nicht mehr darauf rechnen können, dass wir selbst entscheiden, wann wir unsere Erkenntnisse veröffentlichen, können wir uns aufwändige Recherchen kaum noch leisten — weil dann andere vorgewarnt sind, bis hin zu den Konkurrenzblättern. Wir leben — überwiegend  — vom Geld unserer Leser. Nur wenn wir ihnen neue Informationen bieten können, werden sie für unsere Inhalte bezahlen.

Das mag alles sein. Das gibt dem „Stern“ aber nicht das Recht, anderen zu untersagen, ihnen bekannte Tatsachen der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Der „Stern“ hat ein Urheberrecht an seinen Fragen. Er kann der FDP vermutlich untersagen, sie wörtlich zu veröffentlichen. Aber auf welcher Grundlage sollte er die Redefreiheit in Deutschland soweit einschränken können, dass diejenigen, die er etwas fragt, nicht darüber reden dürfen, was er sie gefragt hat?

Nehmen wir an, Herr Tillack hat durch Recherche herausgefunden, dass in meinem Keller eine Leiche sein soll. Wenn er mich, journalistisch korrekt, mit diesem Vorwurf konfrontiert, habe ich natürlich die Möglichkeit, schnell noch in die Offensive zu gehen und selbst der Öffentlichkeit in meinen eigenen Worten mitzuteilen, dass da eine Leiche in meinem Keller ist, um der Enthüllung die Wucht zu nehmen und als erstes die Deutungshoheit zu haben.

Das mag für einen Journalisten ärgerlich und frustrierend sein, aber das ist so.

Es ist selbst dann so, wenn ich von der Leiche in meinem Keller selbst gar nichts wusste und sie erst entdeckte, nachdem der „Stern“-Reporter mich darauf hingewiesen hatte. Was sollte mich daran hindern, mein neues Wissen über die Leichenhaltigkeit meines Kellers mit anderen zu teilen? Womöglich die Sorge, dass der „Stern“, wenn ich ihm so in die Parade fahre, erst recht eine große Leichensuche in meinen Kellern veranstaltet, ja. Vielleicht auch ein Gefühl von Fairness. Aber ein Recht?

Tillack schreibt:

Journalisten haben das Urheberrecht an ihren Fragenkatalogen und an den Rechercheergebnissen, die sich in diese Fragen wiederspiegeln [sic].

Man muss gar nicht, wie Tillack es tut, das Fass der Urheberrechtsdebatte aufmachen, um dem klar zu widersprechen. Es gibt kein Urheberrecht auf Fakten, und das ist auch gut so. Wenn der „Stern“ auf seinem Urheberrecht an der Formulierung der Fragen besteht: Gut, dann muss die FDP die Fragen weglassen oder umformulieren. Aber selbstverständlich hat die FDP das Recht, selbst zu entscheiden, wann und wie sie ihre Antworten auf diese Fragen veröffentlicht.

Und wenn sie damit die Aufmerksamkeits- und Verkaufs-Maximierungsstrategie des „Stern“ durchkreuzt, dann ist das bitter für den „Stern“ und womöglich ein Problem für den investigativen Journalismus insgesamt. Aber es ist nach meinem Rechtsverständnis nichts, das einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigt.

„Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn lässt sich mit den Sätzen zitieren: „Das Konfrontieren gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht und dient vor allem den Betroffenen, ihre Sichtweise ebenfalls darzustellen. Wenn diese das Verfahren unterlaufen, indem sie Fragen und Antworten veröffentlichen, wird diese Praxis ausgehebelt.“

Die Betroffenen sollen „ihre Sichtweise“ darstellen dürfen, aber ausschließlich unter den Bedingungen, die das recherchierende Medium diktiert. Davon träumen sie noch beim „Stern“, dass sich dieses Monopol und das damit verbundene Geschäftsmodell auf Dauer aufrecht erhalten lässt.

Nachtrag, 14. November. Hans-Martin Tillack antwortet: Mein Vorwurf, der „Stern“ hätte ein Monopol auf Fakten verlangt, sei falsch. Gleichzeitig wiederholt er aber, dass es notwendig sei, den „Rechercheprozess“ schützen zu können.

89 Replies to “Der „Stern“ glaubt, ein Monopol auf Fakten zu haben”

  1. Es muss ja schon ein ganz angenehmes Lebensgefühl sein, wenn man glaubt, die eigenen Interessen und Bedürfnisse wären schon sofort eine ausreichende Grundlage, um in die Rechte anderer einzugreifen.
    Von außen zwar ziemlich unsympathisch, aber von innen sicherlich sehr beruhigend und gemütlich.

  2. @Muriel: Nun ja, der Trick besteht darin, die eigenen Interessen und Bedürfnisse für identisch mit denen der Gesellschaft zu halten. Das ist im konkreten Fall nicht einmal völlig abwegig, denn natürlich ist es gut für eine Gesellschaft, wenn sich investigativer Journalismus lohnt.

  3. @Stefan Niggemeier: Für eine Gesellschaft ist es auch gut, wenn sich Brotbacken lohnt. Trotzdem kommt kein Bäcker auf die Idee, anderen verbieten wollen, ihre eigenen Brötchen herzustellen.
    Oh. Ähm… Ich merke gerade, dass ich den Bäckern gegenüber da ein bisschen zu großzügig war und mein Beispiel nicht so ganz optimal gewählt habe.
    Na gut, ich habe ja auch nie behauptet, dass Verlage die einzigen sind, die gerne öffentlich behaupten, das Wohl der gesamten Menschheit hinge davon ab, dass sie per staatlichem Zwang vor Konkurrenz geschützt werden. Unverschämt und dummdreist finde ich es trotzdem.
    Aber da streite ich ja eigentlich gerade mit dem Falschen.

  4. Zitat vom STERN-Mann: „Wir leben — überwiegend — vom Geld unserer Leser.“ Das ich nicht lache! Diese Rolle übernehmen doch – und zwar in einem sehr großen Umfang – die Anzeigenkunden. Das ist nichts als Heuchelei nach dem Motto: Wir wollen unseren Lesern so tollen Journalismus bieten, weil wir von deren Geld abhängig sind. Stimmt nicht, zumindest nicht in erster Linie.

  5. Und ich dachte schon, ich wäre der einzige, dem das Verhalten des „stern“ hamburgererklärungssauer aufgestoßen wäre…

    @Stefan Niggemeier

    Das ist im konkreten Fall nicht einmal völlig abwegig, denn natürlich ist es gut für eine Gesellschaft, wenn sich investigativer Journalismus lohnt.

    Jetzt muss sich nur noch ein Medienunternehmen finden, das boulevardeske durch journalistische Ansprüche ersetzt und an investigativem Journalismus Interesse hat… Der „stern“ isses jedenfalls nicht, solange das Topthema der Online-Ausgabe das Fremdf***en des Ex-CIA-Chefs ist und schon an 4. Stelle eine zweitverwertete Klickstrecke aus einem „Asi sucht Voyeure“-TV-Format kommt.

  6. Wow. Was beim Stern so alles als „investigativer Journalismus“ durchgeht: Fragekataloge an die Pressestelle einer Bundestagspartei schicken. Soviel todesmutiger Investigativ-Journalismus war selten. Da kann man sich nun wirklich die lästigen Treffen in dunklen Tiefgaragen sparen. Wären darauf seinerzeit doch schon Woodward und Bernstein gekommen…

  7. @Hanno: Naja nee. Wenn ich’s richtig verstehe, hat die investigative Recherche vorher stattgefunden. Der „Stern“ hat die FDP dann im Fragenkatalog bloß mit den Ergebnissen konfrontiert.

  8. @ Stefan Niggemeier

    Ich kann ihre Argumentation nachvollziehen aber wieso hat das Landgericht Hamburg dann dem „Stern“ rechtgegeben?
    Und jetzt erzählen sie mir nix von „Vor Gericht und auf hoher See…“

  9. Es geht doch gar nicht um die Gründe, die der Stern vorschiebt. Es geht darum, dass der Stern durch das vollständige Online-stellen der Fragen und Antwortden durch die FDP die Deutungshoheit über die Antworten verliert. Denn im Stern wäre garantiert nur ausschnittsweise das verwurstet worden, was zur Story passt. Nie im Leben hätte der Stern den vollständigen Fragen/Antworten-Katalog selbst veröffentlicht.
    Insofern: Hut ab vor dem Näschen der FDP, die ich inhaltlich nicht ab kann. So viel Gespür, ein Thema online selbst zu setzen und damit Meinungsmache zu verhindern, hätte ich ihr nicht zugetraut.

  10. Na ja, wenn ich lese, dass die „Frankfurter Rundschau“ Insolvenz anmelden muss, scheint bei den Verlagen ja ganz schön die Panik auszubrechen, wenn sie jetzt schon die Gerichte bemühen müssen.

  11. Vorschlag: Da der STERN selbst sagt, es gehe ihm im Grunde um den wirtschaftlichen Gewinn durch exklusive Antworten auf seine Fragen, sollte die FDP eine Gewinnbeteiligung einfordern. Ansonsten sollte die FDP die Fragen umformulieren und das Ganze erneut veröffentlichen dürfen.

  12. @Frank Reichelt (8): Das hat nichts mit „Vor Gericht und auf hoher See…“ zu tun – sondern schlicht mit der Vorläufigkeit einer Einstweiligen Verfügung. Zum Erwirken einer solchen reicht die bloße Glaubhaftmachung einer Rechtsverletzung, der Antragsgegner hat in der Regel keine Möglichkeit der Stellungnahme und die eigentliche Beweisführung erfolgt viel später im Hauptsacheverfahren.

    Ich unterstelle nicht, dass Sie das nicht wissen… umso wichtiger aber, zwischen einer Einstweiligen Verfügung und „das Gericht hat dem ‚Stern‘ Recht gegeben“ fein säuberlich zu trennen.

    Davon abgesehen hat Stefan natürlich Recht, dass das Hamburger Landgericht eine beliebte, weil Erfolg versprechende, Adresse für solche Anträge ist…

  13. @ #4, daniel: natürlich lebt der stern überwiegend vom geld seiner leser. selbst wenn der anteil der anzeigenerlöse über dem der verkaufserlöse läge. denn die anzeigenkunden wollen sternlesern was verkaufen. deshalb inserieren sie da. hätten sternleser kein geld, würden die anzeigenkunden nicht inserieren.

    @ #11, frank reichelt: mich hat die nachricht, dass die fr insolvenz anmelden musste betroffen gemacht. allmählich sorge ich mich tatsächlich um die presselandschaft.

    @ thema: es ist natürlich perfide, wenn rechercheergebnisse von der seite, die man befragt, veröffentlicht werden. aber da hat sn schon recht. einen rechtsanspruch auf fakten gibt es nicht. doch wenn das beispiel der fdp schule macht, würde das die bedingungen für investigativen journalismus stark verändern. das ist nicht wünschenswert. und deshalb ist dieses verhalten der fdp moralisch (nicht juristisch) zu geißeln. insofern hätte der stern besser daran getan, dieses thema ins blatt zu heben, anstatt es vor gericht zu bringen. offensichtlich traut die redaktion ihrer eigenen wirkungskraft nicht.

  14. @ #14, olfinger: Mir ist dieser Rückkopplungseffekt durchaus geläufig. Deswegen schrieb ich ja auch, „zumindest nicht in erster Linie“ sei der Stern vom Geld seiner Leser abhängig. Indirekt ist er es natürlich, so wie jedes Printmedium. Folgt man aber der Argumentation des STERN-Mannes, fühlt sich sein Blatt dem Leser gegenüber dazu verpflichtet, investigative Inhalte zu liefern, weil sie, die Leser, angeblich dafür zahlen. Und genau das sehe ich als pure Heuchelei an.

  15. Wenn der Stern das Urheberrecht auf die Fragen gelten machen kann, so kann die FDP doch ihrerseits die Veröffentlichung der Antworten ebenfalls mit dem Urheberrecht blockieren. Was dann der Stern mit seinen tollen Fragen macht, bleibt mir zwar schleierhaft, aber so what.
    Daneben muß niemand Mitleid mit dem ach so investigativen Journalismus in den „Qualitäts“-Medien haben. Der hat sich in den letzten Jahren selber abgewickelt. Unsere „Qualitäts“-Medien leben von einem Nimbus vergangener Jahrzehnte.

  16. @miwalla: Ich glaube, die FDP hat schon ein Interesse daran, dass auch ihre Seite gehört wird und im „Stern“ zu Wort kommt.

    Und der Rest, den Sie schreiben, ist pauschaler Quatsch.

  17. # olfinger: warum soll das moralisch verwerflich sein? Ganz im Gegenteil, dieses Flucht nach Vorn-Verhalten und Transparenzherstellen durch die FDP ist vorbildlich und im Interesse unserer Gesellschaft. Das gegenteilige Verhalten, also Schweigen + Aussitzen, kennt man ja zur Genüge. Also Hut ab vor der FDP. Und ein fettes LOL für den Stern.

  18. Der STERN glaubt vor allem so etwas wie in Monopol an der Berufsbezeichnung ‚Journalist‘ und den damit verbundenen Taetigkeiten zu haben. Traeumt weiter von der Macht der (Print-)Journalisten! Nicht, dass ich in den letzten 6 Jahren einen Stern gekauft oder mehr als 4x auf die Webseite geklickt haette, aber jetzt erst recht wuerde ich das Teil nicht konsumieren-oder kann man mich am Ende irgendwie zwingen, ein ‚journalistisches‘ Produkt zu kaufen ;)?!

  19. Dass der Stern seine Fragen vor Erscheinen des entsprechenden Stücks schützen will, ist verständlich, wenn sie eine besondere Rechercheleistung beinhalten. Aber daraus auch ein Copyright auf die Antworten ableiten zu wollen, ist dreist und unverschämt. Es ist besorgniserrend, dass der Stern für diese Position in Hamburg rech bekommen hat. Megafail.

  20. Ich weiß bei solchen Blogbeiträgen von Hans-Martin Tillack nie so wirklich, woher die Motivation rührt. Ist es sein „great big ego“ oder vielmehr die verklausulierte Verzweiflung darüber, dass der Stern für seine – zugegeben: meist beachtlichen – Recherchen nur noch wenig Platz im Heft freihält?

  21. @Stefan Niggemeier: Anders als Du behauptest ist es juristisch durchaus fraglich, ob der Stern überhaupt ein Urheberrecht an seinen eigenen Fragen hat. Dafür müsste die Gestaltung der Fragen nämlich tatsächlich die nötige „Schöpfungshöhe“ erreichen – und das scheint doch eher unwahrscheinlich. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6pfungsh%C3%B6he#Sprachwerke_nicht-literarischer_Art )

    Und selbst für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass diese Fragen doch so wundervoll kunstvoll formuliert waren, dass sie tatsächlich urheberrechtlichen Schutz genießen, wäre der Abruck durch das Zitatrecht mit ziemlicher Sicherheit abgedeckt, da die Antworten ja gerade eine eigene inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zitierten Text liefern und dadurch ein Zitat rechtfertigen.

    Ansonsten gebe ich Dir natürlich vollkommen recht: Das der Stern für seine „Rechercheergebnisse“ (=die Antworten der FDP) ein Urheberrecht beansprucht ist einfach nur lächerlich. Um so trauriger, dass es Richter gibt, die solche Verfügungen unterschreiben. Es wird dringend Zeit, das wir den fliegenden Gerichtsstand bei Presse- und Internetverfahren abschaffen.

  22. @Volker (#13):
    Hallo Volker, Sie liegen nicht ganz richtig oder es klingt zumindest verwirrend. Die einstweilige Verfügung trifft zwar nur eine vorläufige Regelung, das gilt aber vorallem für die Rechtsfolgen. Und sie hat geringere Anforderungen an die zu erbringenden Beweise, auch das ist richtig. Bei einer einstweiligen Verfügung ist das Gericht aber trotzdem gehalten, die sich stellenden Rechtsfragen korrekt zu prüfen und vollständig zu entscheiden.

    Die Frage einer Rechtsverletzung kann man insofern nicht „glaubhaft machen“, sondern die dieser zugrunde zu legenden Tatsachen. Ob diese Tatsachen dann die Annahme einer Rechtsverletzung rechtfertigen muss dass Gericht aber – wie gesagt – trotzdem vollumfänglich (und nicht etwa nur vorläufig) prüfen.

    Wenn Grundlage hier die Entscheidung war, dass an den Fragen ein Urheberrecht entsteht, dann hat das LG Hamburg diese Rechtsfrage bereits abschließend entscheiden und eigentlich dürfte weder nach der mündlichen Verhandlung (falls Widerspruch eingelegt wurde) noch in einer Hauptverhandlung (falls überhaupt Hauptsacheklage erhoben wird) etwas anderes entschieden werden (das würde ja sonst bedeuten, dass das LG in der ersten Entscheidung falsch lag).

    Aber darüber, ob an einem Fragenkatalog, der ja so gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist, eine Urheberrecht entsteht, das kann man rechtlich diskutieren. Ich darf aber daran erinnern, dass seinerzeit Christian Wulff auch Probleme mit der Veröffentlichung von an ihn übersandten Fragenkatalogen hatte.

    Das alles ist aber tatsächlich etwas anderes als die Frage, die der Herr vom Stern daraus gemacht hat und die Herr Niggemeier auch rechtlich zutreffend analysiert hat.

  23. Kollege Niggemeier macht hier einen interessanten Punkt. Ich teile seine Häme, was den stern angeht, selbstredend nicht (ich arbeite nämlich da), ich finde – davon unabhängig – Tillacks Recherchen oft beeindruckend und wichtig. Aber Niggemeiers Punkt ist interessant und wohl valide – dass das Verhalten der FDP investigative Recherche erschwert und behindert, gilt abseits davon ja trotzdem.
    Zum Brechen finde ich natürlich, dass der „Geht-sterben“-Mob in dieser Spalte selbst das langsame Sterben der „Rundschau“ bejubelt – aber, nun ja, das gehört hier zum guten Ton.

  24. Weiß jemand, warum die FDP die Fragenliste überhaupt veröffentlicht hat und was da so drin stand? Moki (9.) hat das zwar klug, aber meines Erachtens nur teilweise beleuchtet. Formal mag stimmen, dass die FDP so Deutungshoheit gewonnen hat. Aber die Sache muss ja eine inhaltliche Begründung haben. Waren die angeblich exklusiven und investigativen Fragen etwa so banal, dass sie hofften, den Stern damit zu blamieren?

  25. @ Stefan Rö (#23): Das der Stern für seine »Rechercheergebnisse« (=die Antworten der FDP) ein Urheberrecht beansprucht ist einfach nur lächerlich.

    Ich glaube, da verwechseln Sie was. Wenn ich das richtig verstanden habe, stellen die Antworten der FDP gerade nicht das Rechercheergebnis dar, sondern die Reaktion der FDP auf gezielte Fragen des Stern bezüglich der Richtigkeit des Recherchierten. Der Stern hat recherchiert und fragt vor Veröffentlichung die FDP, ob die recherchierten Ergebnisse stimmen, und ob sie was dazu sagen will.

    Will heißen: Die Fragen selbst sind das Ergebnis der Recherche bzw. fragen gezielt Einzelheiten ab, um die Richtigkeit der Recherche zu überprüfen. Die Antworten der FDP bestätigen diese Ergebnisse oder eben nicht und haben vielleicht Einfluss darauf, wie der Stern die Geschichte bringt. Es ist aber sicher kein Fall, wo eine Illustrierte bei der Post nach den neuen Tarifen fragt und die Antworten der Post dann als Ergebnis knallharter Recherche veröffentlicht.

  26. # daste: „dass das Verhalten der FDP investigative Recherche erschwert und behindert, gilt abseits davon ja trotzdem.“ Sorry, da habe ich ein Verständnisproblem. Nicht „investigative Recherche“ wird erschwert, sondern eventuell deren wirtschaftliche Verwertung. Aber ansonsten wird das gesellschaftlich wünschenswerte Hauptziel einer Recherche sehr wohl erreicht: Transparenz und Offenlegung von Fakten. In diesem Sinne hat sich die FDP sehr positiv verhalten. Und dass jemand über den recherchiert wird, selber mit Fakten an die Öffentlichkeit geht, sollte ja ein selbstverständliches Recht sein. Oder muss man zukünftig erst warten, bis die Presse ihr bedrucktes Papier verkauft hat?

  27. @Nr.24: „von Herrn Niggemeier rechtlich zutreffend analysiert“?

    Herr Niggemeyer hat einen hochinteressanten journalistschen Kommentar abgeliefert, der nicht erkennen lässt, ob er den Beschluss des LG Hamburg gelesen hat. Niggemeyer hat das auch nie behauptet. Von einer rechtlichen Analyse sollte man daher nicht sprechen.

    Ist der Beschluss des LG Hamburg schon irgendwo veröffentlicht?

  28. Wenn ein Journalist wirklich das Urheberrecht an seiner Frage haben sollte könnte es in Zukunft lustig werden. Das würde bedeuten das wenn eine Zeitung fragt: „Herr X haben sie ein Verhältnis mit Y?“ dürfte danach niemals wieder ein anderer Journalist diese Frage stellen. Sollte es doch passieren kann man den Fragesteller dann kostenpflichtig abmahnen :-)

  29. Mir kommt das alles gar nicht neu vor. Als „Der Spiegel“ Anfang 2000 den hessischen Teil der CDU-Parteispendenaffäre aufdeckte, hat er die CDU mit seinen Rechercheergebnissen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Die trat daraufhin die Flucht nach vorn an und gab eine Pressekonferenz, in der sie – ich glaube es war an einem Freitag – der Öffentlichkeit praktisch den Inhalt der der „Spiegel“-Titelgeschichte vom darauf folgenden Montag präsentierte (und die Rechercheergebnisse im Wesentlichen bestätigte). Ich kann ich aber nicht erinnern, dass sich der „Spiegel“ oder einzelne seiner Redakteure damals so aufgeführt hätten wie jetzt der „Stern“ oder Hans-Martin Tillack. Manche haben so etwas anscheinend nötig, andere nicht.

  30. Lieber Stefan Niggemeier, liebe Diskutanten,
    wir beim stern glauben nicht, dass wir ein Monopol auf Fakten haben. Der FDP steht es jederzeit frei, Erklärungen zu ihrem undurchsichtigen Firmenreich zu veröffentlichen, also etwa einen Text auf der Basis ihrer Antworten zu den Fragen des stern. (Das ist ja eigentlich auch das spannendere Thema.)
    Uns geht es nicht um Feinheiten des Urheberrechts, sondern darum langfristige, grundsätzliche Recherchen zu ermöglichen. Aus Gründen der Fairness und der rechtlichen Absicherung konfrontieren wir ausführlich, früh und schriftlich. Wenn Pressesprecher Q+A-Kataloge komplett und vor der eigentlichen Berichterstattung veröffentlichen, müssen wir diese Praxis überdenken. Insofern dient dieser Fall auch dazu zu klären, auf welcher Basis Pressesprecher und Journalisten miteinander umgehen.
    Selbstverständlich haben wir ein Urheberrecht an den uns von formulierten Fragen. Auch der Anwalt des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff hat – korrekterweise – vor der Veröffentlichung der zahlreichen Fragen an Wulff, die Urheber um Zustimmung gebeten. Dies hat die FDP versäumt bzw. gegen unseren ausdrücklichen Wunsch trotzdem veröffentlicht. Deswegen sind wir dagegen vorgegangen. Wenn die FDP dies vor Gericht nun endgültig klären will, ist das doch nur zu begrüßen.

  31. Hallo Nr. 31, da haben Sie meinen Kommentar aber etwas sehr eilig überflogen. Herr Niggemeier hat nicht den Beschluss des LG analysiert, sondern das Thema Rede-/Meinungsfreiheit, Veröffentlichung von Informationen und Urheberrecht an Fakten. Wie Sie dem letzten Absatz meines Kommentars hätten entnehmen können, bin ich der Auffassung, dass das also gerade etwas anderes ist, als das worum es beim LG Hamburg ging.

    Wenn der Beschluss irgendwo veröffentlich wird, bitte ich auch um Mitteilung; würde mich auch interessieren.

  32. @Lorenz Wolf-Doettinchem: Nach Ihrer Aussage scheint es so, dass der Stern vom Vorgehen der FDP etwas überrascht wurde. Dabei ist das Spiel so alt wie der investigative Journalismus selbst. Nach kostspieliger und langwieriger investigativer Recherche wird der Betroffene mit den Ergebnissen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Der Betroffene tritt die Flucht nach vorn an, gibt eine Pressemitteilung heraus und alle investigative Arbeit war für die Katz. So was ist dem Stern hier bestimmt nicht zum ersten Mal passiert. Wenn Sie jetzt anfangen die Praxis der Konfrontation zu überdenken, wachen Sie reichlich spät auf.

  33. Selbstverständlich hat der STERN KEIN Urheberrecht auf seine Fragen, weil ein solcher einfacher Fragenkatalog von der Natur der Sache nach naheliegt und daher die nötige Schöpfungshöhe nicht erreicht. Nur ausnahmsweise können Fragenkataloge urheberrechtlich geschützt sein.

    Einfache und kurze journalistische Texte rein handwerklicher Natur sind auch nicht urheberrechtlich geschützt.

    Siehe auch
    http://archiv.twoday.net/stories/202705515/
    http://archiv.twoday.net/search?q=gebrauchstexte

  34. @38: Ich bin zwar im Ergebnis Ihrer Meinung, aber „selbstverständlich“ ist so ein Begriff, den ich bei Stellungnahmen zu juristischen Fragen sehr nachdrücklich vermeiden würde.

  35. @Dieter Der Stern ist nun wirklich erfahren in investigativen Recherchen. Aber es in diesem Fall eben nicht um eine Leiche im Keller. Die Frage danach kann die FDP schnell beantworten. Es geht um sehr komplexe gesellschaftsrechtliche und parteienrechtliche Fragen. Da können wir schon aus presserechtlichen Gründen nicht nur Pro Forma oder Last Minute konfrontieren.

  36. Es ist immer wieder lustig, zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit juristische Laien sich anmaßen, juristische Spezialprobleme aus der Hüfte heraus zu beantworten. Und das mit einer Letztverbindlichkeit im Ton, die keinen Widerspruch zulässt, ganz einfach, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

    Ahnung natürlich keine – aber drauf geschissen, lieber wird munter mit Allgemeinplätzen herumgeschmissen („der Stern hat kein Urheberrecht auf Fakten“ – das ist natürlich so banal wie es an der Sache vorbeigeht).

    Wie bitte? Ein Landgericht sieht das anders? Ha, kein Wunder, die dortigen Richter sind schließlich auch „keine Freunde der Meinungsfreiheit“. Und schon hat man den Kreis geschlossen und gestandenen Volljuristen mit 2 Examina im Vorbeigehen noch schnell mindestens Unfähigkeit unterstellt.

    Herr Niggemeier, würden Sie eigentlich auch einem Herzchirurgen Tipps geben, weil er „das mit der Herzklappe da“ gerade völlig falsch angeht?

  37. @41Oj: man muss kein Jurist sein, um feststellen zu können, dass Lorenz Wolf-D versucht, etwas falsch darzustellen:
    Der Anwalt von Wulff hat eben nicht davon gesprochen, dass die Journalistenfragen aufgrund des Urheberrechts nicht veröffentlicht werden können, sondern er sagte, dass eine Veröffentlichung das recht am eigenen Wort verletzten würde. Von Urhebern oder Urheberrecht ist in der ganzen Erklärung nicht einmal die Rede.
    Insofern ist es unlauter, wenn dies von Sternseite immer wieder so dargestellt wird.

  38. Die Einlassung von Herrn Doettinchem (#35) lässt mich ratlos zurück: Er führt aus, der FDP stehe es frei, Erklärungen „zu ihrem undurchsichtigen Firmenreich“ zu veröffentlichen, also etwa einen Text auf der Basis ihrer Antworten zu den Fragen des Stern, nicht aber die Fragen (als Teil des Q und A -Spiels). Wenn Worte noch einen Sinn ergeben, reklamiert Herr Tillack in dem Eingangszitat des Textes von Herrn Niggemeier aber für sich ein Recht, zunächst über Rechercheergebnisse zu berichten, bevor der Betroffene dazu Stellung nehmen kann, weil nur unter dieser Voraussetzung die wirtschaftlich interessante Exklusivität der Verwertung noch gegeben sei.

    Ja, wie denn nun?

  39. @ Th. Koch Das passt ganz einfach zusammen. Wir wollen die in unseren FRAGEN enthaltenden Rechercheergebnisse schützen und als erste darüber berichten können. Wir können die FDP nicht daran hindern, umfangreiche Presseerklärungen zu ihrem Firmenreich herauszugeben.

  40. Ich bin auch juristischer Laie, bin mir aber nicht sicher, ob das hier so selbstverständlich diskutierte Urheberrecht in dieser Frage überhaupt entscheidend ist. Im Prinzip handelt es sich hier doch zunächst einmal um einen Brief des Stern an die FDP. Und einen Brief darf ich in erster Linie wegen der sogenannten Geheimsphäre nicht veröffentlichen (so steht es jedenfalls in Artikeln, die sich googeln lassen). Die FAZ soll aus diesem Grund schon mal verurteilt worden sein (weil sie Briefe von Grass veröffentlicht hatte).

  41. @Matthias: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass für eine Glaubhaftmachung eines Anspruches im Zivilprozess eine bloße Behauptung des Anspruches nicht einmal ansatzweise ausmacht, so wie es #13 suggeriert. Vielmehr muss die juristische Stichhaltigkeit des Klägerbegehrens dem Richter „wahrscheinlich“ erscheinen.

  42. Sehr witzig. Sich im Internet auf den einsamen Hügel der Meta-Ironie zurückzuziehen, war schon 2002 nicht cool.

  43. @ 46 Lorenz Wolf-Doettinchem:
    Wenn ich den großen roten Bullshit-Buzzer auf meinem Schreibtisch hätte, würde ich da jetzt mit aller Kraft draufhauen: Wenn die FDP sich (selbstverständlich) zu ihrem „undurchsichtigen Firmenreich“ (was auch immer mit dieser Wendung in #35 insinuiert werden soll) äußern kann, kann sie sich auch zu Fakten äußern, die Gegenstand einer Frage sind, solange sie die Frage nicht wiedergibt (oder deren Existenz verschweigt?) . Der Versuch, die Publikation der Frage mit (mE untauglichen) Mitteln des Urheberechts zu verhindern, ist daher entweder für genau gar nichts gut oder aber nur durch das – durch den Tillack-Text nahegelegte – Ziel zu erklären, die (Transparenz-) Bemühungen der Gegenseite durch Verhinderung einer Publikation von Fakten zu unterlaufen – tertium non datur.

  44. @ Doettinchem: Gut, dass Sie das Verhältnis zwischen Pressestellen und Journalisten ansprechen (und dabei Fairness erwähnen). Leider (zum Glück) ist es heute so, dass jeder im Netz journalistisch arbeiten kann. Und jeder, über den berichtet wird, kann seine eigene Pressestelle sein. Heute (Internet) kann fast jeder publizieren, wann und was er will. Das kann man gut finden – oder weniger gut. Unfair ist es gewiss nicht. Ich finde es bemerkenswert, dass ausgerechnet die FDP sich dieser Mittel in unüblichem Maße bedient. Das haben vor ihr sicherlich auch schon andere versucht – aber vielleicht nicht mit der Durchschlagskraft einer Regierungspartei.

    Andere schreiben: Das wäre längst bekannte Praxis, auch früher wären eilig Pressemitteilungen zu laufenden Recherchen versandt worden. Merken Sie den Unterschied? Pressemitteilungen! An die Presse! Die Berufsstandskollegen der Recherchierenden! Heute passiert das online. Der vermeintliche Stern-Leser erfährt das über digitale Umwege, ohne dass die Presse dazwischen geschaltet ist.

    Das ist die (gar nicht mal mehr so) neue Medienrealität. Fairness zwischen Berichterstatter und Objekt der Berichterstattung muss neu definiert werden.

    Der Fall tritt übrigens auch sehr häufig umgekehrt ein. Fiktives Beispiel: Der Stern erfährt nach Redaktionsschluss der gedruckten Ausgabe von einer Pressemitteilung, die am Donnerstag verschickt werden soll. Überlässt er das dann „fair“ den später erscheinenden Online-Medien, Tageszeitungen, vielleicht gar Spiegel oder Focus? Nein, er würde es aus nachvollziehbarem journalistischen Reflex schnell auf stern.de veröffentlichen. Schon am Mittwoch. Ungeachtet dem Urheberrechtsanspruch des betreffenden Pressesprechers. Vielleicht würde stern.de sogar wörtlich aus der Pressemitteilung zitieren (um gute Quellenlage zu demonstrieren) – dann hätten wir den vergleichbaren Fall. Vielleicht würde stern.de auch nur sinngemäß umformulieren. Das würde dennoch die Intention der Pressestelle konterkarieren. Wäre das fair? Würde eine Pressestelle dann klagen? Wenn ja: Hätte dafür jemand Verständnis? Für eine Pressestelle, die klagt, weil ein Journalist ihre Pressemitteilung vorab vermeldet. Nein, hier sind die Sympathien klar verteilt. Und das ist auch gut so.

    Ich finde, darüber könnte man mal nachdenken. Abgesehen davon, dass es natürlich sehr unwahrscheinlich ist, dass auf stern.de etwas veröffentlicht wird, das zuvor nicht schon bei den Kollegen von Spiegel, SZ, FAZ, Welt, Focus oder Bild nachzulesen ist.

  45. Dachte erst, der Niggemeier, schießt daneben – aber er hat recht mit seiner Kritik am stern und an Hans-Martin Tillack: Journalisten haben kein Urheberrecht auf Fakten, nur auf die Formulierung ihrer Fragen.
    Nichtsdestotrotz habe ich Anwaltskanzleien und deren Mandanten auch schon die Veröffentlichung unserer Fragen explizit untersagt – zum einen um keine Debatten zu führen, die mit der Berichterstattung nichts zu tun haben, zum anderen aber auch, um die eigene Recherche nicht offenzulegen.
    (Einige Kanzleien, allen voran Schertz/Bergmann haben ja Standardformulierungen am Ende ihrer Schreiben, dass diese nicht zitiert werden dürften. Alleine deshalb wolte ich schon mal Augenhöhe herstellen. Schertz/Bergmann haben sich übrigens dran gehalten.)
    Was in Beiträgen gesagt wird, ist belegt, geprüft und hält stand – Fragenkataloge dagegen enthalten oft schon aus taktischen Gründen, Unterstellungen, Schüsse in die Luft, Bluffs – für deren Veröffentlichung kann man presserechtlich die Verantwortung nicht übernehmen – das Risiko hätte hier auch die FDP tragen müssen. Ein Argument das Niggemeier vergisst.
    Dennoch bleibt es eine PR-Taktik, die hoffentlich keine Schule macht: Wenn die Angegriffenen, das, was sie einräumen, zugleich veröffentlichen, dann ist der Wettbewerbsvorteil für das recherchierende Medium dahin. Das ist ärgerlich, aber vollkommen legal. Aus PR-Sicht sogar klug. Neu ist die Strategie nicht – die gibt es auch häufiger im Zusammenhang mit eingeklagten Auskunftsrechten und IFG-Erfolgen.

  46. @51 (OJ): Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Kommentar #50 nicht von mir stammt, mithin sehr wahrscheinlich keine Replik auf Ihre Einlassungen darstellt. Ich gehe davon aus, dass sich mein Namensvetter – ohne auch nur einen einzigen Kommentar gelesen zu haben – auf Herrn Niggemeiers Beitrag bezieht.

    Zur Sache: Sie haben recht, dass eine Behauptung des Anspruches nicht ausreicht. Die Einstufung was „wahrscheinlich“ ist, obliegt jedoch dem Richter. Und es ist nun einmal ein gut dokumentierter Fakt, dass man in Hamburg häufiger von einem begründeten Anspruch ausgeht als anderswo (darum werden einstweilige Verfügungen auch so gern gerade dort beantragt). Dies hat dem LG Hamburg den Ruf eingebracht, dass dort besonders oft Meinungsäußerungen verboten werden. Und darauf bezieht sich Herr Niggemeier. Ein Hauptsacheverfahren in dieser Causa wäre für die FDP also ratsam und wahrscheinlich erfolgversprechend.

  47. Ich verstehe nicht, wie Medien ganze Schriftwechsel (Faxe, Mails, Briefe, …) mit scheinbarem Recht auf Interesse der Öffentlichkeit o.ä. veröffentlichen und selbst dann so etwas verhindern. Ist das dann statt Pressefreiheit Pressewillkür?!

  48. […] Und richtig ist auch: Natürlich hätte die FDP jederzeit die Möglichkeit gehabt, ihre Antworten an uns in eigenständiger Form auf ihrer Website zu veröffentlichen – also ohne unsere Fragen. Das wollten die Parteioberen bisher nicht. Sie können es gerne jederzeit nachholen. Niemand hindert sie daran. Deshalb ist auch der Vorwurf falsch, wir hätten ein Monopol auf Fakten verlangt. […]

  49. Guter Beitrag, gerade weil es doch eigentlich nicht um Urheberrecht geht. Das Urheberrecht ist hier wieder Mittel zum anderen Zweck.

    In Wahrheit geht der Streit um Deutungshoheit, die Lufthoheit über der Debatte. Tillack weist selbst darauf hin, sein Motiv ist Verlustangst, die Kontrolle (oder nennen wir es Deutungsmonopol) über seine Story zu verlieren – an die Konkurrenz.

    Dass Tillack in dieser Schlacht gegen die Veröffentlichung im Internet kämpft, ist konsequent, denn dort steht auch nach Meinung der Verleger-Lobbyisten die größte Konkurrenz.

    Konkurrenz zu einem bezahlten Journalismus, der in den letzten 20 Jahren die Information zugunsten von Deutung und Skandalisierung in den Hintergrund hat treten lassen. In einer zunehmend kommentierenden und wertenden „Berichterstattung“ beansprucht dieser Journalismus stets das letzte Wort.

    Das Internet hat nun die bisher unangefochtene Deutungsüberlegenheit von Journalisten, welche aus ihren Verbreitungsvorteilen resultierte, reduziert. Heute ist es den Objekten der Berichterstattung möglich, wieder zum selbst sprechenden Subjekt zu werden, dem letzten Urteil zumindest noch etwas hinterherzuwerfen.

    Die FDP hat zweifellos viel Erfahrung mit Medien, und sieht wohl deshalb in der Flucht nach vorn ihre einzige Chance, ihre Sicht der Dinge in die Deutung noch einzubringen. Ich kann das verstehen, und würde bei einer einseitigen Recherche ähnlich entscheiden.

    Journalisten sollten damit souverän umgehen. Ein positives Beispiel dafür ist die inzwischen eingestellte c’t TV Sendung des gebührenfinanzierten Hessischen Fernsehens. Dessen pseusoinvestigative und skandalisierende Show-Recherche wurde ausführlich und zeitgleich im Unternehmensblog dokumentiert (nachzulesen unter http://blog.1und1.de/?s=kassel).
    Die Redaktion postete selbst Kommentare und verzichtete auf urheberrechtliche Scheingefechte. So wurde eine ehrliche und gleichberechtigte Debatte um mögliches Fehlverhalten von Menschen oder Organisationen ermöglicht.

    Journalismus muss sich daran gewöhnen, dass zur vierten Gewalt eine fünfte tritt, welche die vierte kontrolliert. Und das ist gut so.

  50. Ich verstehe den Sachverhalt der diskutiert wird, ihn juristisch zu beurteilen traue ich mich als Laie jedoch besser nicht (gesunder Menschenverstand hat ja bekanntlich nichts mit juristischer Beurteilung zu tun). Dennoch möcht ich mich anmaßen hier kein Problem zu erkennen: denn wieviele STERN-Leser mögen wohl täglich die Pressemitteilungen oder Online-Veröffentlichungen der FDP studieren, geschweige denn ihre Kaufentscheidung davon abhängig machen.
    Für mich ist das ganze beste Antiwerbung für den STERN, der nicht mal von sich selbst überzeugt ist. Denn eigentlich möchte ich als Leser mich nicht durch einen schnöden Frage-Antwort-Katalog arbeiten, sondern hätte das ganze gerne journalistisch aufgearbeitet mit unvermeidbarer Meinungsmache des Verfassers.
    Wer jedoch FDP-Online-Mitteilungen dem Studium eines Nachrichten-Magazins vorzieht, der hätte es wahrscheinlich eh nicht gekauft, bzw. sollte ein regelmäßiger STERN-Leser wegen einer solchen Veröffentlichung die jeweilige Ausgabe auslassen, frage ich mich als Nicht(oder nur in Wartezimmern)-Leser worin die journalistische Qualität des STERN abseits von Frage-Antwort-Bögen besteht.
    Also abgesehen davon das persönliche Meinungsbildung besser immer aus mehr als einem Medium erfolgen sollte, halte ich diese doppelte Veröffentlichung für zutiefst demokratisch.
    Vielleicht könnte das Gericht ja verfügen, das zukünftig unter diesen Bögen einfach vermerkt wird: „Online oder in PK nicht zu veröffentlichen vor nächstem Erscheinungsdatum unseres Magazins!“.
    Achja dann werden die Fragen halt umformuliert, womit sich der Kreis schließt: Wo ist das Problem, bzw. wie will ich da was juristisch handhaben?

  51. Das in Kommentar 37 genannte „für die Katz“ gilt nur aus (verlags)wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wenn das die Position der Presseorgane ist, schön und gut, aber dann sollten selbige auch nichts von „vierte Gewalt“ oder „Säule der Demokratie“ faseln, denn sie entpuppen sich so als Unternehmen mit Zielen wie jedes andere…

  52. „Leichenhaltigkeit meines Kellers“

    bin noch dabei, die auf die Tastatur geprusteten Kaffeereste wegzuwischen

  53. Wenn das stimmt, was Herr Tillack in seinem Blogeintrag schreibt, nämlich dass die Fragen bereits detailierte Informationen über die bisherigen Rechercheergebnisse des stern enthielten, kann man die Vorgehensweise des Magazins verstehen.

    Wer lässt solche Informationen schon gerne an die Öffentlichkeit, bevor die Antworten der FDP in den Artikel, der schlußendlich veröffentlicht werden soll, eingearbeitet sind. Auch das verstehe ich unter journalistischer Sorgfaltspflicht.

    Nicht desto Trotz wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, den kompletten Fragenkatalog mit den Antworten der FDP NACH Veröffentlichung des Artikels ebenfalls den Lesern zur Verfügung zu stellen, damit die sich ein Bild machen können, was der stern aus den Antworten der FDP gemacht hat.

    Der Schutz des Rechercheprozesses ist eine Sache, aber ebenso wichtig für den Journalismus sind Transparenz und Glaubwürdigkeit.

  54. @#58:

    Was für ein Unsinn, dachte ich erst, als ich ihren Kommentar las, Herr Frenzel.

    „…Konkurrenz zu einem bezahlten Journalismus, der in den letzten 20 Jahren die Information zugunsten von Deutung und Skandalisierung in den Hintergrund hat treten lassen. In einer zunehmend kommentierenden und wertenden »Berichterstattung« beansprucht dieser Journalismus stets das letzte Wort.“

    „Der“ Journalismus. Soso. Wir reden hier gerade über Hans-Martin Tillack. Sie reden über alles, was im Zeitungskiosk liegt, was man im Radio hören kann und im Fernsehen sehen. Auf der Ebene lässt es sich natürlich wunderschön schwadronieren.

    Aber Sie haben völlig Recht, dass das Internet mehr an Informationen bieten kann. Nur muss man dann halt selbst suchen. Journalisten werden auch dafür bezahlt, dass sie uns diese Recherche abnehmen.

    Ach ja, ihr Hinweis auf eine „Show-Recherche“ des Hessischen Fernsehens wäre sicherlich noch informativer gewesen, wenn Sie hinzugefügt hätten, dass Sie selbst für die Firma 1&1 arbeiten.

    Unsinn ist es also nicht, was Sie hier schreiben. Eher der Versuch, beim allgemeinen Geplauder über „den“ Journalimus noch PR für den eigenen Arbeitgeber zu betreiben.

  55. Liebe anwesende Stern-Mitarbeiter,
    hier mal ein kleiner Fragekatalog, auf dessen Urheberrecht ich ausdrücklich verzichte und den Sie gern auf Ihrer Webseite zusammen mit Ihren Antworten veröffentlichen können:
    Kann eine politische Partei wie die FDP tatsächlich auf eine faire Berichterstattung in Ihrem Medium hoffen? Können Sie anhand vergangener Veröffentlichungen belegen, dass Ihre Berichte stets ausgewogen und unvoreingenommen waren?
    Ist es richtig, dass es bei der abschließenden Konfrontation anders als von Ihnen dargestellt vorwiegend um die Minimierung von Haftungsrisiken geht, die sich aus möglicherweise unzutreffenden Rechercheergebnissen ergeben könnten?

  56. Hallo zusammen, ich habe leider gerade keine Zeit, alle Kommentare zu lesen, daher bitte ich um Entschuldigung, wenn der Punkt schon aufgebracht wurde. Aber ich frage mich, ob eigentlich noch jemand merkt, in was für eine perverse Lage wir uns manövriert haben? Urheberrecht als Mittel, um seine Fragen vor Veröffentlichung zu schützen?

    Und dann wird das diskutiert (hier und bei Facebook, wo sich auch Tillack geäußert hat, aber offenbar nicht mit einer nicht-öffentlichen Erwiderung auf Marcus Lindemanns Post, so dass ich den hier nicht zitieren kann), als sei das normal und es gehe nur um die rechtlich richtige Auslegung? Spinnen denn alle?

    Das Urheberrecht ist geschaffen worden, um Autoren, Musikern zu ermögliche, ihre Werke (!) zu schützen. Und jetzt nimmt es jeder offenbar völlig selbstverständlich dazu her, um seinen noch so unbedeutenden Mist zu schützen (nein, mit Mist meine ich nicht Tillacks Recherchen, die ich sehr schätze – ich meine damit die Idee, seine /journalistischen Fragen/ als urheberrechtlich geschütztes Werk darzustellen).

    Noch dazu sind die Fragen des Sterns überhaupt nicht urheberrechtlich geschützt. Nicht, weil es sich um „Fakten“ handelt, die nicht geschützt sein können, sondern weil sie keinen Werkcharakter haben, weil die Schöpfungshöhe überhaupt nicht da ist.

    Herr Tillack, kennen Sie Fälle wie den von Scientology, die das US-Copyright in Anschlag brachte, um Kritik zu unterdrücken? (Falls nicht: http://www.wired.com/culture/culturereviews/magazine/17-10/mf_chanology_sidebar) Sicherlich kennen Sie aber den Versuch des Duisburger Oberbürgermeisters Sauerland, die Veröffentlichung interner Dokumente über das Urheberrecht zu verhindern (http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Loveparade-Duisburgs-OB-Sauerland-mahnt-Blogger-ab-id8333066.html)

    Und jetzt versuchen Sie, das Urheberrecht zu nutzen, um der FDP zu untersagen, ihre Fragen (!) zu veröffentlichen? Merken Sie überhaupt, welchen Bärendienst Sie dem Journalismus da erweisen?

  57. Ich hoffe die FDP zieht das bis zum OLG durch.
    @OJ: es kommt nämlich durchaus häufiger vor, dass das OLG HH der Meinung ist, dass sich das LG HH irrt und deswegen das Urteil aufhebt….

    An sich ist der Fall echte Realsatire: Eine Partei, die dems Leistungsschutzrecht in einen (noch gültigen) Koalitionvertrag zugestimmt hat, veröffentlicht Presseerzeugnissen ohne dafür die Genehmigung zu haben und „Enthüllungsjournalisten“ sind empört wenn etwas zu früh „von den falschen“ enthüllt wird….

    und jetzt mal ehrlich, wer kauft sich den Stern NICHT, ausschließlich weil er Teile der darin präsentierten Rechercheergebnisse in Form eines Fragakataloges schon kennt?
    Muss man zwingend annehmen, dass diese „nur Fragekataloginteressierten“ ohne FDP-Maulkorb nicht auch nur die nach Veröffentlichung folgenden Schlagzeilen in anderen Medien verfolgt hätten, sondern in jeden Fall den Stern gekauft hätten?

  58. Eine Frage an diejenigen, die das Urheberrecht für solche Interviews verneinen: Wenn man tatsächlich als Interviewter so ein Interview selbst veröffentlichen dürfte, dürfte ich das auch mit einem Videointerview etwa der ARD oder RTL machen? Oder ist dann da plötzlich eine Schöpfungshöhe vorhanden, weil ja der Kameramann sich total kreativ entscheidet alles als Close Up zu filmen?

  59. Erst wenn die letzte E-Mail urheberrechtlich geschützt, der kürzeste Tweet mit Werkcharakter versehen, dem nichtigsten Facebook-Post die Schöpfungshöhe zuerkannt ist, werdet Ihr merken, dass Ihr ohne Erlaubnis nichts mehr veröffentlichen könnt…

  60. @59: das klingt folgerichtig, ist aber zu kurz gedacht. dahinter steckt ein grundsätzlicheres problem. als wochenzeitschrift muss der stern einen redaktionsschluss einhalten. wenn die fdp jetzt dinge weit vor der geplanten drucklegung selbst veröffentlicht, kann die ganze nummer von anderen medien vorher ausgeschlachtet werden. die müssen sich dann auch nicht auf den stern als quelle berufen. dann heißt es halt „wie aus fdp-kreisen verlautete“. oder wie die bild es formulieren würde: „nach informationen, die der bild vorliegen…“
    insofern kann ein geplanter titel, der die auflage auch steigern kann, deutlich wertloser werden.
    das bedeutet aber nicht, dass ich das vorgehen des stern für geschickt halte.

  61. @#63:

    Hallo Theo, gerade weil Sie sich trotzdem mit meinem „Unsinn“ sehr ernsthaft auseinandergesetzt haben, danke ich Ihnen. Nach dem Grundsatz „wes Brot ich es“ steht man wohl auch bei privaten Äußerungen schnell unter Verdacht. Ich mache aus meiner beruflichen Tätigkeit keinen Hehl, aber mein Kommentar ist meine private Meinung. Aufgrund der gebotenen Kürze wirkte sie vielleicht etwas sprunghaft.

    Meine These ist, Meinungsjournalismus findet im Internet ein starkes Korrektiv. Diese Kontrolle muss sich Journalismus gefallen lassen, und nicht diese neue unbequeme Transparenz mit dem Urheberrecht bekämpfen. Wie Journalisten damit auch umgehen können, dazu habe ich ein Beispiel aus meiner Erfahrung geliefert, keine Werbung.

    Die Verallgemeinerung „Der Journalismus“ stammt jedoch nicht von mir. Diesen generalisierenden Begriff vermeide ich. Wie sie richtig anmerken, habe ich beruflich mit vielen Journalisten zu tun, deren Arbeit ich sehr schätze.

    Vor 20 Jahren arbeitete ich selbst als Journalist für eine regionale Tageszeitung. Ein strikter Grundsatz war, Kommentar und Bericht zu trennen. Diese Trennung sehe ich heute in vielen Zeitungen überwunden. Viele, die täglich beruflich Medien Rede und Antwort stehen, sind Journalisten begegnet, die den auch den Grundsatz der Unvoreingenommenheit für verzichtbar halten.

    Im Internet aber lässt sich die Arbeit von Journalisten sehr leicht dokumentieren. Für den öffentlichen Diskurs lassen sich für jedermann abrufbar Gegeninformationen veröffentlichen. Folgt man der These, dass Medien als vierte Gewalt im Staat die ersten drei Gewalten durch Herstellung von Transparenz kontrollieren, so lässt sich weiter ableiten, dass im Internet eine fünfte Gewalt entstanden ist, welche die vierte Gewalt der Medien kontrollieren kann, indem sie Transparenz über die Recherchemethoden herstellt. Ein Beispiel dafür ist bildblog.de.

    Schlechte Recherche ist kein Vorwurf, den ich Hans-Martin Tillack mache. Ich habe jedoch großes Verständnis für Berichterstattungsobjekte, die aus Furcht vor einer möglicherweise drohenden Bloßstellung oder einseitigen Darstellung die Flucht nach vorne antreten. Dieses Recht darf man den Betroffenen nicht nehmen, zumal sie verglichen mit Medien viel weniger Reichweite haben.

  62. #72:

    Okay, der Leiter der 1&1-Pressestelle verlinkt hier „privat“ auf seinen Unternehmensblog. ;-) Und es ging beim Hessischen Rundfunk um eine Glosse, nicht um eine Recherche in dem Sinn, wie wir sie hier in diesem Thread diskutieren. Glosse ist natürlich auch Meinung, ist Tendenz.

    Grundsätzlich ist Ihnen zuzustimmen, dass die „Berichterstattungsobjekte“ mittels Internet ein starkes Korrektiv-Instrument zur Verfügung haben. Allerdings ist nicht jede „Korrektur“ eine wahrheitsfördernde Maßnahme. Vor allem bei Parteien und bei Kommunikationskonzernen bin ich da eher skeptisch.

  63. Aus http://www.fdp.de/FDP-Wir-stehen-fuer-Transparenz/3822c16474i1p204/index.html:

    „P.S.:
    ’stern‘-Redakteur Hans-Martin Tillack schreibt heute in seinem Blog: ‚Natürlich hätte die FDP jederzeit die Möglichkeit gehabt, ihre Antworten an uns in eigenständiger Form auf ihrer Website zu veröffentlichen – also ohne unsere Fragen. Das wollten die Parteioberen bisher nicht. Sie können es gerne jederzeit nachholen. Niemand hindert sie daran. Deshalb ist auch der Vorwurf falsch, wir hätten ein Monopol auf Fakten verlangt.‘
    Dieser Rechtsauffassung schließen wir uns gern an.

    Allerdings hatte die Justiziarin des Verlags Gruner und Jahr mit Schreiben vom 8. November der FDP mitgeteilt: ‚Ich gehe davon aus, dass Sie den Fragenkatalog samt Antworten bis heute 14 Uhr von den Internetseiten wieder entfernen lassen. Sollte dies nicht der Fall sein, werden wir unseren Anwalt bemühen.‘ Was dann auch geschah.“

  64. @Matthias, Howie Munson: Die Popularität des LG Hamburg in sog. „fliegenden Pressesachen“ mit beliebigem Gerichtsstand ist mir bekannt. Dort sind jedoch auch einfach viele Anwälte beheimatet, die sich auf Pressesachen spezialisiert haben. Ob die sich dort wiederum nur deswegen angesiedelt haben, weil die Hamburger Richter alles „Feinde der Meiungsfreiheit“ sind, oder letzteres nur deswegen den Eindruck erweckt, weil die hochklassige Anwaltschaft es versteht, die Interessen ihrer Mandanten effektiv zu vertreten, ist letztlich die Frage nach dem Huhn oder dem Ei.

    Aber selbst wenn: Hier wurde eben nur pauschal auf die angebliche Inkompetenz des LG Hamburg abgestellt („Kennt man ja…“), aber eben nicht einmal ansatzweise eine juristische Argumentation vorgebracht. Das kann man von Nichtjuristen nun freilich nicht erwarten. Gleichsam sollte man sich dann aber mit starken Worten zurückhalten. Deshalb ist meine Analogie mit dem Herzchirurgen auch stimmig.

  65. Kann jemand den feinen Unterschied zwischen Rechercheergebnissen und den Fakten, die sich in den Fragen, aber nicht den Antworten, verbergen, erläutern?

    Im Moment sieht es für mich nur nach ein paar Steinen aus, die der Stern der FDP in den Weg wirft, weil sie für volle Transparenz nun gezwungen wär immer in offener Form zu antworten. Das Ja als Antwort auf Frage 21 könnte auch in der Form „(Ja), Herr Niggemeier hat eine Leiche im Keller“ ausfallen. Was bleibt dem Stern da an Rechercheergebnissen?

  66. Ich finde es vor allem bemerkenswert, daß die FDP offenbar eine ungeschriebene Übereinkunft aufgekündigt hat, die über lange Jahre galt: Die Partei überläßt es dem Medium, aus den Antworten zu zitieren.

    Man kann sich schon die Frage stellen, warum sich die FDP offenbar genötigt sah, den gesamten Fragenkatalog zu veröffentlichen. Es ist der Pressestelle sicher bewußt gewesen, daß man sich damit bei Journalisten, insbesondere des „stern“, keine Freunde macht.

    Für mich drängt sich der Verdacht auf, daß die Fragen ein Beweis dafür sind, daß es bei der „stern“-„Recherche“ weniger um investigativen Journalismus ging und mehr um eine Kampagne gegen die Partei. Die Kampagnenkrankheit hat ja mehr oder weniger alle Medien befallen.

    Den Verdacht könnte der „stern“ natürlich sehr leicht widerlegen, wenn er die Veröffentlichung der Fragen nicht unterbunden hätte. Oder eben nicht.

  67. #hiro: So wie in den letzten Jahren gerne kampagnenmäßig die FDP (nicht nur diese) und diverse ihrer Politiker runtergeschrieben wurden, mag es nicht verwundern. Einen Artikel der Art „Stern recherchiert Geschäfte der FDP und findet heraus, dass alles legal war und steuerlich korrekt abgewickelt wurde“ konnte wohl kaum erwartet werden, so eindeutig und transparent die Antworten auf die Fragen auch waren. Das finde ich sowieso erstaunlich, wieviel Mühe sich die FDP gemacht hat, nicht ganz triviale Fragen zu 10 bis 15 Jahren zurückliegenden Geschäften und Vorgängen zu beantworten. Und auch etwas frech vom Stern, die Beantwortung solcher Fragen innerhalb von 6 Tagen zu verlangen.

  68. Nebenbei: Hier wird ein Spannungsfeld erkennbar. Auf der einen Seite steht das nachvollziehbare Interesse eines jeden Mediums auf Exklusivität. Mit Exklusivstories können sich einzelne Medien von ihrer Konkurrenz abheben und so für eine Käuferbasis sorgen. Das ist notwendig, da die meisten Medien private Unternehmen sind. Sie müssen sich auf Märkten durchsetzen. Vermutlich ist das auch gut so, denn privat geführte Medien können unabhängiger sein als staatliche Sender mit politisch besetzten Führungsgremien.

    Auf der anderen Seite steht das Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit. Krumme Geschäfte einer regierenden Partei geht alle etwas an. Das ist eigentlich Wissen, dass allgemein zugänglich sein sollte. Sicher, es soll ja auch allgemein zugänglich gemacht werden. Aber aus der Perspektive der Öffentlichkeit ist der Versuch, ein frühes Bekanntwerden dieser Recherche eben dysfunktional. Dürfen solche Informationen eigentlich exklusiv sein?

    Wie dieses Spannungsfeld aufzulösen ist, weiß ich allerdings nicht.

  69. Noch einmal: Kann mir vielleicht mal jemand erklären, warum Google zum Stichwort „Brief veröffentlichen“ vor allem Artikel ausspuckt, die das Problem des Persönlichkeitsrechts enthalten – während hier offenbar alle der Meinung sind, es handele sich ausschließlich um eine Frage des Urheberrechts? Nicht, dass sich dadurch am Ergebnis zwangsläufig etwas ändern muss – aber die Argumentation müsste dann doch eine ganz andere sein.

  70. Blunt:

    Eine auszugsweise Veröffentlichung von Mails verletzt laut BVerG nicht zwingend ein Persönlichkeitsrecht. Gleiches gilt vermutlich auch für Presseanfragen, egal ob diese per Mail oder per Brief zugestellt werden.

    Aus Sicht der Stern-Anwälte ist es somit erfolgversprechender, auf die Sache mit dem Urheberrecht zu setzen.

  71. @theo: Ah, Danke. Ich hatte nicht bedacht, dass der Stern von sich aus auf diese Schiene gesetzt hat. Was Post von der Presse betrifft, so stimmt das zumindest nicht grundsätzlich (wie ich von einem konkreten Fall her weiß).

  72. @Michael Lohmann: Sie haben die wichtigste Seite dieses Spannungsfeldes vergessen: Eine Partei und die Mitglieder, die sie bilden, die nicht nur ein Interesse, sondern auch ein Recht darauf haben, dass wahrheitsgetreu über sie berichtet wird.

  73. @Tim Landscheidt: Ob es die wichtigste Seite ist, weiß ich nicht. Aber Sie haben recht, natürlich geht es auch um die Personen/ Organisationen, über die berichtet wird.

    Hier stellt sich das Problem, dass auf dem Markt eine Sensation allemal attraktiver ist. Also werden Berichte zugespitzt oder es wird mit Vermutungen gearbeitet. Letzten Endes wird jedenfalls nach Möglichkeit eine starke Story entwickelt. Nur das scheint die Aufmerksamkeit des Medienpublikums zu binden. Ein abwägendes „einerseits, andererseits“ wäre offenbar zu unspannend. Zu Gunsten der auflagensteigernden Story bleibt die Wahrheit gerne mal auf der Strecke.

    Ich will damit sagen, dass guter Journalismus eigentlich finanzielle Unabhängigkeit bräuchte und die Freiheit, auch mal etwas zu schreiben/ senden, was dem Publikum nicht unbedingt gefällt. Dann wäre vielleicht auch der Druck weg, auf Teufel komm raus eine Sensationsstory zu produzieren. Das wiederum würde denen, die Thema der Berichterstattung sind, helfen.

  74. Danke an Chris, Hans-Christian und Rolf für das Aktualisieren. Der Fall zeigt paradetypisch warum die FDP sich hier richtig verhalten hat: in einem Artikel werden Spekulationen, Halbwahrheiten und selektierte Informationen zu Verdächtigungen verrührt, so dass das Ganze möglichst quoten- und klickträchtig wird. Das Opfer dieser leider durchaus gebräuchlichen Art von „Journalismus“ hat praktisch keine Möglichkeit der Gegenwehr, nachträgliche Antworten, Klarstellungen und Reaktionen gehen im Nachplapper- und Empörungssturm unter. Die Gegenwehr durch Herstellen maximaler Transparenz war daher genau richtig, und sollte in Zukunft die Regel werden. Gratulation an die FDP.

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