Peter Hahne ist nicht unbedingt der Mann, den man sich in der ersten Reihe eines Mobs vorstellt, wie er mit der Mistgabel droht. Ich sehe ihn eher so am Ende der Menge, wie er wütend die Faust schüttelt, die aufgebrachten Menschen mit seiner Forke anstachelt und dabei mit schriller Stimme Sätze ruft wie: „Denkt denn keiner an die Kinder?“, „Wo kämen wir da hin!“, „Das lassen wir uns nicht mehr bieten!“ oder: „Warum tut denn keiner was?!“
Irgendjemand muss zum Beispiel jetzt endlich mal irgendwas gegen diese ganze Kinderpornographie im Internet tun. Peter Hahne findet, sowas müsste verboten sein. Gut, es ist verboten, aber das ist ja nicht der Punkt. Es soll weg sein. Sofort.
Peter Hahne ist für Netzsperren, wie sie die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen im vergangenen Jahr durchsetzen wollte, die aber aufgrund erheblicher Bedenken, was ihre Wirksamkeit und ihre Verfassungsmäßigkeit angeht, vorerst nicht verwirklicht wurden. Aber schon das Wort „Netzsperren“ geht dem ZDF-Mann Peter Hahne nicht über die Lippen. Er sagt stattdessen:
Und der Staat muss auch handeln, kann auch handeln in Sachen Eingriff in das Internet. Also Verbot. Ursula von der Leyen hat das ja versucht, im letzten Jahr, 2009, hat gesagt, wir verbieten das einfach im Internet. Das hat sich irgendwie nicht so verwirklichen lassen. Und jetzt hat man so einen typisch faulen Kompromiss gemacht. Wir schauen uns das erstmal ein Jahr an, ob das auch freiwillig geht und dann müssen wir vielleicht eingreifen.
So spricht ein Mann, der bis vor kurzem in leitender Position beim ZDF war und jetzt eine eigene Talkshow hat.
Ich glaube nicht, dass es ein Versehen war, Ausdruck bloßer Unkonzentriertheit, die Hahne jede konkrete Formulierung vermeiden und sich in Sätze wie „Das hat sich irgendwie nicht so verwirklichen lassen“ flüchten ließ. Die ganze Sendung zum Thema Kindesmissbrauch, die er am heutigen Sonntag ausstrahlte, war geprägt von dem Versuch, jede auf Argumente oder Tatsachen gestützte Auseinandersetzung zu vermeiden und allein an das Gefühl der Zuschauer zu appellieren, dass da Kinder missbraucht werden, und keiner tut was.
Von der ersten Sekunde an sprach er die Zuschauer allein auf dieser Ebene an. Mühsam unterdrückte er sein übliches Grinsen, während er in die Kamera fragte:
Geht es Ihnen auch so, dass Sie erschüttert sind, wenn Kinder tot aufgefunden und missbraucht worden sind?
Nein, rufen wir da natürlich alle im Chor, uns lässt das völlig kalt.
Der Satz ist scheinbar sinnlos und unnötig, in Wahrheit aber setzte Hahne mit ihm schon die Grundlage für die Logik der ganzen Sendung: Wer auch erschüttert ist, muss seine bildliche Mistgabel aus dem Schuppen holen und fäusteschüttelnd die Politik auffordern, irgendetwas, nein: alles Mögliche, nein: alles zu tun.
Peter Hahne hatte in seiner Sonntags-Talkshow „Peter Hahne“ Stephanie zu Guttenberg zu Gast, die Präsidentin des Vereins „Innocence in Danger“, der gegen Kinderpornographie kämpft, und Ehefrau des Verteidigungsministers, die gerade ein Buch zum Thema Kindesmissbrauch geschrieben hat. Kindesmissbrauch ist laut „Peter Hahne“ ein Tabuthema:
– vermutlich in dem aus der Sarrazin-Diskussion bekannten Sinne, dass ununterbrochen darüber geredet wird. Die Zahlen, die Frau Guttenberg zum Thema Kinderpornographie im Internet nannte, waren jedenfalls dieselben, die die frühere Familienministerin von der Leyen schon genannt hatte, als sie das Thema publikumswirksam für sich entdeckte.
Man darf sicher nicht zuviel in den begrenzt variablen Gesichtsausdruck von Peter Hahne interpretieren, aber es schien doch, als sitze Frau Guttenberg ein glühender Fan gegenüber, ein Verehrer. Er hatte aus seiner Sendung eine Werbesendung für ihr Buch, ihr Anliegen, sie selbst gemacht, nickte eifrig und, nun ja, grinste. Er hatte keine kritischen Nachfragen, als sie behauptete, dass das Geschäft mit Kinderpornographie ein „lukratives Geschäft“ sei, obwohl viel dagegen spricht. Und er schaffte es, auf ganz eigene Art das Internet als Wurzel allen Übels auszumachen. Dass sich Pädophile zum Beispiel so leicht an Kinder ranmachen können, liegt daran, dass die „keine Briefe und Postkarten mehr schreiben; es geht alles über Chat“. Postkarten! Und ein anscheinend gefährliches Vorbild wie Lady Gaga beschrieb Hahne als „eine Frau, die von vielen Kindern und Jugendlichen angeklickt wird im Internet“. (Sie bei „Wetten dass“ zu sehen, ist offenbar ungefährlich.)
Doch zurück zu den Netzsperren. Hahnes wirrer Dialog mit Guttenberg muss für Laien komplett unverständlich gewesen sein, und enthielt doch eine klare Botschaft. „Sie waren ja für die harte Lösung“, rief er Guttenberg zu und ergänzte selbst: „Die wäre ja auch konsequenter.“ (Die „harte Lösung“ ist, nur zur Erinnerung, das Aufstellen von Stopp-Schildern vor kinderpornographischen Seiten, die selbst aber erhalten und mit Tricks zugänglich bleiben. Stattdessen versucht man nun, sie zu löschen.)
Nun ist Hahne beim „Man muss aber doch was tun“, was konkret bei ihm lautet „Aber ohnmächtig geschlagen geben möchte man sich ja nicht“. Und weil ihn Argumente ohnehin nicht interessieren, begibt er sich in die Rolle des kleinen Peterchens, der zu der berühmten Tante sagt, dass sie doch supereinflussreich ist und diesen tollen Mann habe, der noch superereinflussreich ist, und da doch mehr machen kann als, sagen wir, Peter Hahne, dem nur das Fäusteschütteln bleibt:
Ihr Mann hat ja auch mal gesagt: Also meine Frau mischt sich da ganz schön auch mal ein. Sie haben ja viel mit Politikern zu tun, nicht nur zu hause mit ihrem Mann. Sagen Sie da auch mal, “Mensch, ihr müsst euch darum kümmern!”, auch was die Gesetze angeht? (…) Aber Frau Schröder, da müssen Sie doch jetzt – Sie haben doch schon ’n bisschen Einfluss – sagen: „Ich stehe hier gerade als Frau eines prominenten Politikers, die auch sehr engagiert ist in diesem Thema. Ich setze das jetzt auf die Schiene. Frau von der Leyen, machen Sie das. Frau Schröder jetzt.“
Er hat, wie gesagt, das Wort Netzsperren nie erwähnt, und zu diesem Zeitpunkt ist längst nicht mehr klar, was Frau Guttenberg denn genau zu Frau Schröder sagen soll. Hahne würde es reichen, wenn irgendetwas geschähe, das den Eindruck erweckte, dass irgendetwas geschehe. Dass es vielleicht gar nicht an fehlendem Druck von Frau Guttenberg liegt oder an fehlendem Willen von Frau Schröder, sondern an etwas, das sich „Koalitionspartner“ nennt und in diesem Fall FDP heißt und sich zum Beispiel in Gestalt einer Justizministerin mit guten Gründen gegen Sperren sperrt… das ist kein Bestandteil des Edelkitsches, den Hahne anstelle eines politischen Gesprächs produziert.
Ganz abgesehen davon, dass es keine gute Voraussetzung für ein Fernsehgespräch ist, wenn der Moderator in der Rolle eines Jubelpersers auftritt (lustigerweise nicht nur bei Guttenberg: Günter Schabowski kündigte er für die nächste Sendung zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung als „den Mann, der das alles möglich gemacht hat“): Hahne hat in der Sendung systematisch fast jede Gelegenheit gemieden, die Zuschauer aufzuklären, klüger zu machen. Er hat sie nur in ihren Gefühlen bestärkt. Dass ein Mann wie Peter Hahne mit seiner Ratiophobie vom ZDF als Journalist eingesetzt wird, ist ein fortdauerndes Ärgernis.
(via netzpolitik.org; Screenshots: ZDF)