Es wäre irreführend, die neue Nachrichtensendung im NDR-Fernsehen „lustig“ zu nennen. Es scheint nur so, als hätte jemand den Autoren ein Merkblatt geben, auf dem das Wort „locker“ nicht nur groß und fett stand, sondern sicherheitshalber auch noch gelb markiert, rot eingekringelt und mit drei Ausrufezeichen versehen war. Entsprechend angestrengt wirkt das jetzt.
Vergangene Woche war der tschechische Präsident Václav Klaus zu Besuch in Hamburg. In „NDR-aktuell“ klang das so:
„Im Grunde war das heute in Hamburg ein Staatsbesuch ohne den eigentlichen Gastgeber. Tschechiens Präsident Klaus war da, aber eben der erste Bürgermeister nicht. Wo Olaf Scholz war, kann später erwähnt werden. Erstmal schrieb sich Vaclaw Klaus ins Goldene Buch der Stadt ein und zeigte diesmal kein übersteigertes Interesse am Füller. Bei einem Staatsbesuch in Chile hatte Klaus kürzlich während einer Pressekonferenz einen Kugelschreiber mitgehen lassen. Von Hamburgs zweiter Bürgermeisterin bekam er zumindest so etwas wie das passende Etui dazu. Zu beantworten ist dann noch die Frage, wo denn eigentlich Olaf Scholz, der ursprünglich eingeplante Gastgeber, so herumlief. In Washington. Im Schlepptau der Bundeskanzlerin auf Staatsbesuch in den USA, hier in der zweiten Reihe. Für so einen Termin versetzt man dann doch mal tschechische Präsidenten.“
Soviel Bemühtlaunigkeit ist natürlich immer noch besser als die schablonenhaft staatstragend-lokalpatriotische Fassung, mit der das „Hamburg Journal“ wenige Stunden zuvor dasselbe Ereignis aufbereitet hatte und in der der tschechische Präsident in Hamburg von den glänzenden Beziehungen seines Landes zur Hansestadt schwärmt und der Erste Bürgermeister in Washington von den glänzenden Beziehungen seiner Stadt zu Amerika.
Jedenfalls hat das dritte Programm des Norddeutschen Rundfunks seit einer Woche fast eine richtige Nachrichtensendung, was man prinzipiell begrüßen müsste, wäre es nicht so peinlich, dass es das all die Jahre nicht gab: regelmäßige tagesaktuelle Informationen im Hauptabendprogramm. Unter dem früheren Chef Volker Herres, dem heutigen Programmdirektor des Ersten, war zwischen all den „Tatort“-Wiederholungen und siebzigtausend Quiz-Shows aber auch einfach kein Platz für sowas.
„NDR-aktuell“ ist zehn bis fünfzehn Minuten lang, läuft werktags um 21.45 Uhr, wird im wöchentlichen Wechsel von Ellen Frauenknecht und Thomas Kausch moderiert und kommt aus Hannover. Das ist wohl ein Zugständnis der Vier-Länder-Anstalt an die niedersächsische Landesregieunrg und einigermaßen absurd, weil die Infrastruktur für die aktuelle Berichterstattung (auch des NDR-Fernsehens) sonst in Hamburg ist. Andererseits ist „NDR-aktuell“, wie es im Abspann heißt, ohnehin eine Sendung der vier Landesfunkhäuser. Die bestücken „NDR-aktuell“ mit umgestrickten und auf locker getrimmten Versionen von Beiträgen ihrer Regionalmagazine.
In der ersten Woche ging es, natürlich, immer wieder um EHEC, wobei sich die „NDR-aktuell“-Version eines Filmberichtes über Bauern, die ihr Gemüse am Freitag in der Hamburger Fußgängerzone an Pasasnten verschenkten, kaum wieder einkriegen konnte, wie ironisch das war, dass dann die Entwarnung für Gurken, Tomaten und Salat kam und die Landwirte ihr Zeugs plötzlich doch loswurden, aber wiederum nichts verdienten. Ein Bericht über die Überschwemmungen fragte am Anfang, ob die Menschen denn alle nicht am Tag vorher die Warnungen vor den Unwettern gehört hatten, um am Ende zu merken, dass man auch nicht wüsste, wie man darauf reagieren könnte. Der Sprecher formulierte gespreizt: „Bleibt die berechtigte Frage – und sie bleibt ohne Antwort: Was tun gegen Land unter?“
Weil auch ein Fitness-Studio überschwemmt wurde, hieß es aus dem Off: „Es wird eine ordentliche Kraftanstrengung werden, hier wieder alles fit zu machen.“ Als am Mittwoch starke Sonnenstürme entdeckt wurden, begann Moderator Kausch die Sendung mit dem Satz: „Heute morgen hatten wir schon Sorge, dass Sie uns heute abend nicht sehen können.“ Und zu den Standard-Aufnahmen von einer Experten- und Politikerrunde zum Thema EHEC hieß es mit erstaunlichem Zynismus: „Alle haben ein Wasser getrunken und einen Keks gegessen und sich dann selbst bescheinigt, so schlecht ist unser Krisenmanagement nicht. Sicher, es kann etwas verbessert werden, aber das klären wir nach der Krise.“
Fast alles ist auf eine thomaskauschhafte Art halb schnoddrig, halb wichtigtuerisch formuliert (er verabschiedet sich statt mit „Ciao“ wie früher in „heute nacht“ jetzt mit dem Satz: „Danke für Ihr Vertrauen“). Dieser Tonfall müsste nicht das Schlechteste sein, wenn in der hübschen Verpackung nicht regelmäßig der Sinn verloren ginge. So schön es ist, dass die Sendung Ambitionen hat und sich die Verantwortlichen offenbar bemühen, Inhalte in einer attraktiven und leicht zugänglichen Form zu präsentieren – warum, zum Beispiel, eine Hauptschule in Niedersachsen vor den Problemen mit ihren Schülern kapituliert und eine Gesamtschule am anderen Tag als Vorbild ausgezeichnet wird, vermag „NDR-aktuell“ nicht einmal im Ansatz zu erklären.
Die Sendung lässt es lieber menscheln und begleitet am Tag des Atomausstiegs eine Selbsthilfegruppe krebskranker Frauen in Krümmel. “ Nicht nur Überblick, sondern Durchblick, das wollen wir Ihnen bieten“, hatte Thomas Kausch am Beginn der Premierenausgabe gesagt, realitätsnäher war seine Überleitung wenige Minuten später: „Soweit die Fakten. Aber es ist auch ein Tag der Emotionen, heute, nirgendwo gibt es wohl so viel Erleichterung und zugleich auch Verbitterung wie in Krümmel. Nirgendwo sind nach ihren Beobachtungen so geballt Leukämiefälle aufgetreten, Krankheit und Tod.“ Fakten liefert der folgende Beitrag tatsächlich keine, nur ebenso verständliche wie blinde Wut der Betroffenen, die mit dem Ausstiegsbeschluss fast nichts zu tun hat. Immerhin hat „NDR-aktuell“ aus der „Hallo Niedersachsen“-Version des Berichtes den unerträglich kitschig-propagandistischen Teil herausgeschnitten, in dem ein kleiner Junge ein Gedicht vorliest, das er seinem vor einigen Jahren an Leukämie verstorbenen Freund geschrieben hat.
„NDR-aktuell“ informiert seine Zuschauer nicht so sehr mit Berichten, sondern erzählt ihnen vor allem Geschichten. Die Quote ist gut: Die Premierensendung hatte sogar deutlich mehr Zuschauer als der unmittelbar davor laufende Leipziger Zoo-Serienkitsch „Tierärztin Dr. Mertens“, für dessen Wiederholung im NDR-Fernsehen es sicher auch einen Grund gibt, wenn auch keinen guten.