27. November 2009, 09:30 Uhr
Das Gute an dieser Bambi-Verleihung (und glauben Sie mir, es ist nicht einfach, einen Eintrag über diese Bambi-Verleihung mit den Worten „Das Gute an dieser Bambi-Verleihung“ zu beginnen), jedenfalls: Das Gute an dieser Bambi-Verleihung war, dass man als Zuschauer vor dem Fernseher das Gefühl hatte, mit seinem Grausen nicht allein zu sein. Auch das Publikum im Saal schien von einer lähmenden Fassungslosigkeit ergriffen zu sein und reagierte auf das, was es sich da ansehen und anhören musste, indem es sich über weite Strecken totstellte. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass sich auch Regisseur und Aufnahmeleiter entweder erhängt oder ins Ausland abgesetzt hatten – vielleicht waren sie aber auch nur damit beschäftigt, hinter der Bühne Autoren und Verantwortliche zu würgen.
Nun soll man ja mit Superlativen vorsichtig sein, und die Reihe misslungener Preisverleihungen ist lang, aber dieser Abend war in seiner Furchtbarkeit etwas besonderes.
Anstelle von Moderatoren führten die DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt und der Sportkommentator Tom Bartels mit der Geschmeidigkeit sehr großer Eisberge durch den Abend. Die Pointen (oder besser: „Pointen“), die ihnen die Autoren geschrieben hatten, legten sie jeweils vor sich auf den Boden, um dann unter ohrenbetäubendem Schweigen des Publikums darüber zu stolpern. Für einen winzigen Moment immerhin hatte Witt meine Sympathien: Peter Maffay hatte gerade mit einer Schar traumatisiert wirkender „Kinder der Einheit“, die aussahen, als hätte man sie mit der Androhung lebenslangen Eis- und Computerentzuges zu diesem Auftritt genötigt, „Über sieben Brücken musst Du gehen“ gesäuselt, als Witt versehentlich treffend kommentierte: „Immer wieder zum Weinen schön.“ Dann fügte sie allerdings hinzu: „Die einfühlsame Interpretation unseres Karat-Songs“, und das klang auf eine Art schnippisch, dass man sich man sich fast wünschte, es gäbe noch ein Drüben, wohin man sie zurückschicken könnte.
Zuvor hatte Helmut Kohl für die deutsche Einheit, die anscheinend ganz allein sein Werk ist, einen „Millenniums-Bambi“ erhalten. Theo Waigel überreichte ihn dem geschwächten Altkanzler zuhause. Offenbar per Videobotschaft ins Wohnzimmer gratulierte dann José Manuel Barroso auf deutsch, was vielleicht für Kohl ein bewegender Moment war, für die Zuschauer in der Potsdamer Halle und zuhause aber doch eine eher abwegige Idee. Über Helmut Kohl hieß es in dem Film, der ihn preisen sollte: „Den Mächtigen der Welt begegnete Kohl auf Augenhöhe“, was nur einer von vielen merkwürdigen Sätzen an diesem Abend war, die aber meist innerhalb von Sekunden durch eine weitere verunglückte Situation selig in Vergessenheit gerieten. In diesem Fall konkret durch die Worte, die Tom Bartels an den Kanzler in die Ferne richtete:
„Wir haben auch noch eine ganz besondere Überraschung für Sie. Denn ohne deutsche Einheit ständen diese beiden Kinder heute nicht hier. Sie haben einen entscheidenden Anteil zur deutschen Einheit beigetragen. Denn diese beiden Kinder haben Eltern aus Ost- und aus Westdeutschland.“
Und dann standen da zwei eingeschüchterte Kinder, die zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer wie Naturwunder präsentiert wurden und aufzählen mussten, woher ihre Eltern stammen.
Maximilian Schell bekam noch einmal einen Lebenswerk-Bambi, Kate Winslet wurde als „Schauspielerin International“ ausgezeichnet, Giorgia Armani für Kreativität und die Klitschko-Brüder für Sport, Wolfgang Joop wurde von seiner Tochter Jette mit einem Sonder-Bambi überrascht („Der einzige wirkliche Superstar: Mein Papi!“), und Jürgen Schulz für sein Engement für Familien mit schwerst- und unheilbar kranken Kindern gewürdigt.
Die Zuschauer konnten live per Telefon das „TV-Ereignis des Jahres“ bestimmen („Krupp – eine deutsche Familie“), leider aber weder die Moderatoren, noch die Autoren aus der Sendung wählen, die fast jede Beschreibung der Preisträger und Nominierten aus der Grabbelkiste mit den Standardfloskeln gefischt hatten: Edgar Selge? „In jeder Sekunde verschmolzen mit seiner Filmfigur.“ Christian Ulmen? „Erobert die Herzen der Kinobesucher.“ Florian-David Fitz? „Verkörpert genial den modernen Mann zwischen Perfektion und Chaos.“ Simone Thomalla? „Eine Powerfrau, die sich jeder Herausforderung stellt.“
Doch, bei Christoph Waltz war ihnen etwas Besonderes eingefallen: „Wer mit Brad Pitt in einer Liga spielt, macht sich einen Namen in der ganzen Welt.“ Ja. Naja.
Ein seltener Lichtblick an diesem Abend, der sonst zwischen Roboterhaftigkeit und Peinlichkeit pendelte, war der Auftritt von Stephanie zu Guttenberg, der Frau des Verteidigungsministers, der wegen der aktuellen Diskussionen über den deutschen Angriff in Afghanistan kurzfristig abgesagt hatte. Sie sagte:
„Mein unmöglicher Mann hat mir vor anderthalb Stunden dieses Redemanuskript zugesteckt, auf die politische Gemengelage verwiesen und irgendwie so ein ‚Ich liebe Dich‘ gemurmelt und betont, dass er die Rede im Zweifel frei gehalten hätte. Denken Sie sich einfach bei den nächsten Worten den Verteidigungsminister in dieses Abendkleid.“
Sie verlas dann sehr sympathisch eine Laudatio auf Uli Hoeneß, die viel zu lang war (was aber ja nicht ihre Schuld war) und die sie mit den Worten beendete: „Sie haben ihn wirklich verdient, den Bambi, aber nicht verdient haben sie meine holprige Rede, die ich gerade zum ersten Mal gelesen habe.“
Dass es trotzdem vergleichsweise angenehm war, ihr zuzuhören, lag auch daran, dass sie einfach vom Zettel ablas und nicht wie fast alle anderen vom Teleprompter. Beim Ablesen klangen die meisten der vermeintlichen Profis wie Kinder in der vierten Klasse, die sich so sehr auf das richtige Erfassen der Wörter konzentrieren, dass sie das, was sie da sagen, nicht gleichzeitig auch noch verstehen können. Besonder bizarr wirkte das bei den Scorpions, die zu dritt haarscharf an der Kamera vorbei auf die ihnen offenkundig fremden Buchstaben schauten und aussahen, als würden sie am liebsten ihre Finger über die Zeilen gleiten lassen, während sie schon damit überfordert waren, noch wie respektable Hardrocker auszusehen und dabei Shakira zu loben.
Christoph Wonneberger, der Pfarrer, der in der Leipziger Nikolaikirche die Friedensgebete koordiniert hatte, aus denen sich die die Montagsdemonstrationen entwickelten, wurde dafür mit einem „Stille Helden“-Bambi belohnt. Er nutzte die Bühne für einen holprigen, aber von Herzen kommenden Appell zur radikalen Abrüstung und zog aus seinem Anzug eine Fahne „Schwerter zu Pflugscharen“. Er bekam dafür zu Recht deutlich mehr Applaus als Moderator Tom Bartels, der unmittelbar danach gönnerhaft herablassend hinzufügte: „Meine Damen und Herren, wir können heute abend alle frei unsere Meinung äußern, und darauf können wir sehr stolz sein.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber das Publikum ohnehin längst gegen sich.
Außer der Ersatzfrau für den Verteidigungsminister blieben noch Laudator Michael Mittermaier, der das Publikum im Saal aufweckte, und Roland Emmerich positiv in Erinnerung: Der Katastrophenfilm-Regisseur, weil er erzählte, dass er so ein Bambi immer schon gerne haben wollte und sich erinnerte, wie er als Teenager vor dem Fernseher saß und sah, wie ihn so Leute wie Uschi Obermaier bekamen — nein: Uschi Glas!, naja, ist ja auch schon zwanzig Jahre her. Schnitt auf Uschi Glas im Publikum. Wenn sie klug ist, bleibt sie nächstes Jahr zuhause. Und die anderen auch.