Der „Spiegel“ kann Fehler leider nicht selbst korrigieren

Dem „Spiegel“ ist in seiner apokalyptischen Titelgeschichte „Rettet dem Deutsch“ vor zwei Wochen ein Fehler unterlaufen. Er schrieb:

„Schon 2004, so stellte eine Studie der Universität Hannover fest, waren unter den 100 am meisten verwendeten Wörtern deutscher Rede 23 englische, fast ein Viertel — 1980 war es noch eins.“

Das ist Quatsch. Es ging nicht um die 100 häufigsten Wörter überhaupt, sondern um die 100 häufigsten Wörter in Werbeslogans (pdf).

Seit mindestens einer Woche weiß der „Spiegel“, dass er da einen blöden Fehler gemacht hat. Fragt man dort (aus aktuellem Anlass) nach, bekommt man zur Antwort:

„Es handelt sich um einen ärgerlichen Flüchtigkeitsfehler, der auch nicht damit zu erklären ist, dass der betreffende Artikel unter höchstem Zeitdruck Korrektur gelesen werden musste. (…)

Einen Leserbrief hierzu hat die SPIEGEL-Redaktion bisher nicht erhalten. Da der zeitliche Abstand zu der Titelgeschichte der Ausgabe 40/2006 inzwischen ziemlich groß ist, würde vermutlich auch keine Zuschrift zu dem Artikel mehr abgedruckt werden.“

Lustig. Die Frage lautete nämlich gar nicht: „Hat der ‚Spiegel‘ einen Leserbrief zu dem Thema bekommen?“, sondern: „Hat der ‚Spiegel‘ den Fehler in der gedruckten Ausgabe inzwischen nachträglich berichtigt?“

Für den „Spiegel“ sind beide Fragen anscheinend identisch. Das deutsche Nachrichtenmagazin korrigiert Fehler, wenn überhaupt, in der Leserbriefspalte. Wenn es keinen Leserbrief bekommt, sind ihm die Hände gebunden.

Was für ein Glück, dass im vergangenen Jahr, als der „Spiegel“ im Wahlkampf ungeprüft und ohne Quellenangabe falsche Berechnungen von CDU-Vorzeige-Steuerfachmann Paul Kirchhof übernahm, sich ein Heinz Ligges aus Bochum darüber offenbar schriftlich bei dem Magazin beschwerte. Ich hielt es damals für einen Skandal, dass der „Spiegel“ seine halbherzige Korrektur dieses Hammers (Ausriss rechts) unauffällig im letzten Drittel der letzten Leserbriefseite versteckte [pdf]. Ich ahnte ja nicht, dass ohne Heinz Ligges der gedruckte „Spiegel“ den Fehler vermutlich nie hätte richtigstellen können.

12 Replies to “Der „Spiegel“ kann Fehler leider nicht selbst korrigieren”

  1. Der Spiegel kann aber auch anders. Im Frühjahr diesen Jahres gab es eine wahre Epedemie von groben Schnitzern in den Teaser-Texten. Zu der Zeit beobachtete ich SPON eine Zeit lang sehr aufmerksam und einige der Fehler wurden kurz nach dem Erscheinen bei mir auch tatsächlich korrigiert. Ich hatte zu der Zeit auch regelmäßig Zugriffe von Spiegel-Servern in meinen Logs.
    Also so GANZ blind sind sie nicht.

  2. Also bei Intention und Spießbürgerlichkeit des besagten Artikels, kann man auf das kleine Detail, ob das jetzt nur Werbetexte oder die gesamte Sprache betrifft, doch locker verzichten. Selten so einen dämlichen Mist im Spiegel gelesen. Der Autor sollte ins Jahr 1800 zurückgeschickt werden.

  3. Das „kleine Detail“, um das es hier geht, heißt handwerklich saubere Arbeit. Ob mir die Meinung eines Autors passt oder nicht, ist eine Sache – ob die Fakten stimmen, eine andere.
    Für Bild und bild.de gibt es ein sehr erfolgreiches Watchblog, das alle Formen journalistisch unsauberer Arbeit anprangert, für Spiegel und SPON noch nicht. Dabei gäbe es da vermutlich ähnlich viel anzuprangern.

  4. es gibt eine art watchblog für spiegel und spiegel online: http://spiegelkritik.de

    ich finde den ursprungsfehler peinlich, aber entschuldbar. erschütternd finde ich die erklärung, warum der „spiegel“ ihn nicht nachträglich korrigiert hat.

  5. Gibt es deutsche Medien die einen Ombudsman besitzen (so wie ich es aus den USA von der NY Times und ESPN kenne)?

  6. ich weiß nur von einem bei der „berliner zeitung“. aber der (bzw. die) kümmert sich um probleme mit behörden, unternehmen etc., nicht mit der zeitung selbst

  7. Nichts hätten die deutschen Medien, ob TV, Radio oder Zeitung/Magazin so nötig wie eigene Ombudsmänner, die sowohl in die Redaktionsarbeit eingebunden sind als auch nach Außen hin gegenüber dem Leser/Zuschauer/Zuhörer als schneller und unkompliziert zu erreichender Ansprechpartner dienen. Sie könnten gegenüber der Redaktion die Interessen der Leser vertreten und gegenüber den Lesern in einer eigenen Kolumne die Arbeit der Redaktion erläutern.

    Der Ombudsmann wäre auch der ideale Ansprechpartner, wenn Menschen sich durch die Berichterstattung unfair behandelt fühlen. Aber vermutlich gibt es so etwas in Deutschland nicht, weil hier z.B. keine solchen Schadensersatzforderungen zu fürchten sind wie z.B. in den USA. Also werden die Kunden weiter leben müssen mit der Arroganz der Medien oder gleich ganz auf den Kauf verzichten.

  8. […] Die SPIEGEL-Titelgeschichte “Rettet dem Deutsch”, deren inhaltliche Qualität mit dem Untertitel “Die Verlotterung der Sprache” hinreichend beschrieben ist, liegt bei uns noch unverdaut. Aus dem hanebüchenen Quatsch den Mathias Schreiber da zusammengetextet hat (zu viele Fremdwörter, früher warfen sich die Bauern auf dem Felde noch Lyrik zu, heute gibt es nur noch SMS-Minimal-Kommunikation; Deutsche wagen es, im Urlaub die undeutsche Sprache ihres Gastlandes zu sprechen; Ausländer können viel zu schlecht / wenig Deutsch; Deutsch muss als Staatssprache im Grundgesetz verankert werden etc.), würden wir uns auch nicht die Nettigkeit raussuchen, die Stefan Niggemeier beklagt, wenn der SPIEGEL in diesem Zusammenhang nicht ein merkwürdiges Korrekturverständnis zu Protokoll gegeben hätte. […]

  9. zum stichwort ombudsmann – er ist in der deutschen presselandschaft tatsächlich sehr wenig verbreitet. neben dem besagten kummerkasten kenne ich noch das modell des leseranwalts bei der main-post würzburg und bei der südwest presse ulm gibt es auch einen ombudsmann. die südwest presse war offenbar auch die erste zeitung in deutschland (damals mit heinz koch), die solch ein modell eingeführt hat. aber ansonsten: fehlanzeige. schade ist das.

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