Das schmutzige Geheimnis der Eurovision

„Eurovision’s Dirty Secret“ heißt die Sendung, die das BBC-Magazin „Panorama“ gestern ausgestrahlt hat. Sie kommt ein bisschen breitbeinig daher, zeichnet aber ein sehr beklemmendes Bild des Landes, in dem am kommenden Samstag das Finale des Grand-Prix stattfindet.

Mit sichtlicher Freude entzaubert Reporter Paul Kenyon die Haltung der Europäische Rundfunkunion EBU, die den ESC veranstaltet und in der u.a. ARD und ZDF Mitglieder sind. Er schafft es, die Generaldirektorin Ingrid Deltenre gleich zu mehreren erstaunlichen Aussagen zu bringen.

Sie vergleicht die in vielfacher Hinsicht ungesetzlichen Zwangsvertreibungen in Baku mit Ärger über Umsiedlungen vor den Olympischen Spielen in London. Sie bestätigt, dass die aserbaidschanische Regierung versucht, den ESC zu politisieren. Sie räumt ein, dass es anrüchtig ist, dass als Pausenact ausgerechnet der Schwiegersohn des aserbaidschanischen Präsidenten auftreten wird (die Präsidentengattin leitet das Organisationskommittee dieses unpolitischen Events). Und Sie sagt mit, wie ich fast annehmen muss, versehentlicher Offenheit, dass Aserbaidschan das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht respektiert, obwohl gerade das für die EBU doch absolut essentiell ist.

(Der Teil ab 0:23 in den folgenden Ausschnitten bezieht sich auf die Wahl von Präsidentenschwiegersohn Emin als Interval Act.)


 
Die ganze Sendung ist bei der BBC leider nur von Großbritannien aus anzusehen. Nachtrag: Gibt’s aber auch auf YouTube.

39 Replies to “Das schmutzige Geheimnis der Eurovision”

  1. Und immer wenn ich denke, „Boah, das ist aber echt mies!“, dann kommst Du und setzt noch einen drauf. Ich klicke jetzt nur noch den Flattr-Button und enthalte mich der Kommentare. Besser ist das.

  2. Irgendwie hatte ich gehofft, dass sich vielleicht doch noch irgendwann irgendwer von der EBU wenigstens annähernd kritisch äußern könnte. Naiv.
    Willkommen in der Realität.
    Aber Aserbaidschan mit Großbritannien zu vergleichen… darauf muss man erstmal kommen…
    Hoffentlich geht es nächstes Jahr nach Island oder Italien…

  3. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Dame nach dieser Dokumentation ihren Job noch lange Zeit behalten wird…

  4. Mit sichtlicher Freude entzaubert Reporter Paul Kenyon die Haltung der Europäische Rundfunkunion EBU, die den ESC veranstaltet und in der u.a. ARD und ZDF Mitglieder sind
    Nun ja, Kenyons Sender BBC ist da auch Mitglied. Es ist nicht so, als würde er von extern berichten.

  5. @ Lars

    Großbritannien ist auch Mitglied der EU und trotzdem meistens dagegen. In diesem Fall vertraue ich mal der Unabhängigkeit der großen BBC, die ja für ihre guten Reportagen bekannt ist.

  6. Ich komm da nicht mehr mit.

    Es gibt den Eurovision Song Contest, an dem die Länder der European Broadcasting Union teilnehmen können. Richtig? Aserbaidschan ist Mitglied, kann teilnehmen. Es gibt eine (schon seit langem, immer schon?) bestehende Regel, dass der Sieger des Vorjahres den „Wettbewerb“/das Spektakel ausrichtet. Aserbaidschan richtet deshalb dieses Jahr aus.

    Weder ist Aserbaidschan das einzige Mitglied der European Broadcasting Union, in dem fragwürdige Dinge geschehen, in dem Grundrechte des Menschen verletzt werden, noch ist es der erste Ausrichter mit derartigen Problemen.

    Fakt ist: Abseits vom Pop-Pomp interessiert dieses Land und seine Menschen hier niemanden. Und das wird auch in einer Woche wieder so sein. Warum sollten jetzt Ausrichter, Mitausrichter, Berichterstatter, Mitberichterstatter … ein Auge auf die Zustände werfen? Interessant ist Baku nur als Austragungsort.

    Klar, es macht jedem Sesselpupser Spaß, sich bei seinen Pupsen vorzustellen, er pupse jemandem Großem ins Gesicht. Aber das ist nur heiße Luft.

  7. Bei der BBC ist es wie bei der ARD, die sind so groß dass oft die rechte Hand nicht weiß was die Linke tut. Das hat manchmal auch Vorteile.

  8. Nach dem gestrigen ersten Halbfinale scheint mehr der Verdacht, das die ganze Veranstaltung als solche die größte Menschenrechtsverletzung z.Z. in Aserbaidschan ist, nicht unbegründet zu sein!

  9. „Abseits vom Pop-Pomp interessiert dieses Land und seine Menschen hier niemanden. Und das wird auch in einer Woche wieder so sein. Warum sollten jetzt Ausrichter, Mitausrichter, Berichterstatter, Mitberichterstatter … ein Auge auf die Zustände werfen? Interessant ist Baku nur als Austragungsort.“

    Peter Ohne Wolf – das ist reinster Zynismus!

  10. @ Stefan Niggemeier:

    Ich fand die Aussagen der EBU-Generaldirektorin sehr aufschlussreich. Leider hakt der BBC-Kollege dann nicht weiter: Wenn Aserbaidschan ein „core value“ der EBU nicht einhält, wie kann dann ein TV-Sender dieses Landes Mitglied der EBU sein?

    Dazu eine Frage an dich, Stefan. Weißt du, ob in den EBU-Statuten überhaupt die Möglichkeit vorgesehen ist, Mitglieder (TV-Stationen) auszuschließen und zu suspendieren, solange die Länder dieser TV-Stationen den Grundwerten der EBU nicht folgen?

  11. Der Bericht aus Brüssel hat das Thema gestern Abend auch aufgegriffen. Leider konnte es nicht ganz sehen. Aber vermutlich wird es in irgendeiner Mediathek auftauchen?

  12. „Peter Ohne Wolf — das ist reinster Zynismus!“

    Ja, ist es das? Die Frage ist, ob der Anspruch der „Menschenrechtsvertretbarkeit“ eines jeden Verantstaltungsortes eine 1. sinnvoller und 2. umsetzbarer ist.

    Aserbaidschan produziert dieses Jahr ein Festival des schlechten (Musik-)Geschmacks. Russland und die Ukraine haben das auch schon produziert. China produziert so ziemlich alles andere. Wann spreche ich die Menschenrechte an, wann nicht? Wenn ich billiges Spielzeug möchte nicht, wenn ich überteuerte Unterhaltung möchte, dann schon?

    Wie ehrlich ist das, was einige der Hobby-Menschenrechtler rund um die Veranstaltung schreiben? Wie ehrlich ist die Kritik an einer Veranstaltung in einem Land mit fragwürdiger Menschenrechtssituation, wenn man selbst nur durch die Veranstaltung auf eben diese aufmerksam geworden ist? Die Menschenrechtssituation in Turkmenistan z.B. interessiert immer noch niemanden, weil dort kein Engelbert singt. Ist das weniger zynisch?

  13. @Peter Ohne Wolf: Ihre Sprache ist entlarvend. Welche Rolle spielt es, ob der ESC (Ihrer Meinung nach) ein Festival des schlechten Geschmacks ist? Müssten wir uns eher um Menschenrechte kümmern, wenn die Musik besser wäre?

    Was ist ein Hobby-Menschenrechtler? Mal abgesehen davon, dass viele Profi-Menschenrechtler Alarm schlagen, darf sich doch jeder für universale Rechte der Menschen einsetzen. Und Journalisten wie ich sind sogar noch ganz anders betroffen, weil wir auf Presse- und Meinungsfreiheit angewiesen sind. Und dann sollen wir hier hinkommen, erleben wie kritische Journalisten zusammengeschlagen und erpresst werden, und wegsehen? Schweigen? Und zwar deshalb, weil wir nur wegen eines Musikwettbewerbs gekommen sind? Und weil in Turkmenistan auch Journalisten misshandelt werden?

    Darf man Ihrer Meinung nach nur dann Kritik an einem Land üben, wenn man Kritik an allen Ländern übt? Kann man nicht die Aufmerksamkeit, die – aus welchen Gründen auch immer – gerade für einen Moment auf Aserbaidschan liegt, für etwas Positives nutzen?

  14. Als was „entlarvt“ es mich denn, wenn den den Grand Prix als Festival des schlechten Geschmacks bezeichne? Selbst mir bekannte, bekennende Fans sehen darin auf keinen Fall eine oftmals suggerierte „musikalische Leistungsschau Europas“. Vielleicht sind die aber auch nicht Fans genug.

    Ich bin aufrichtig der Meinung, dass Berichterstattung über diese Veranstaltung (um einen wertungsfreien Begriff zu verwenden) und Berichterstattung über die Menschenrechtssituation nicht sonderlich gut zusammenpassen. Entweder man steht nicht hinter dem Austragungsort und bleibt zu Hause, oder man unterläuft die Gastfreundschaft nicht und kläfft nicht vorlaut herum, weil ja „die ganze Weltöffentlichkeit zuschaut“ und man sich deshalb sicherer fühlen darf als die so bedauerten einheimischen Kollegen.

    Zum Schluss: Etwas „Positives“ für Aserbaidschan tun Sie also, indem Sie sich hier einen Zickenkrieg mit einem anderen „ESC-Experten“ liefern? Ich denke, dass aserischen Volk wird Ihnen für immer dankbar sein.

  15. @Peter ohne Wolf: Ich kenne niemanden, der von einer musikalischen Leistungsschau Europas spricht, Google auch nicht. Aber ich wiederhole gerne meine Frage nochmal: Dürften wir uns eher um Menschenrechte kümmern, wenn die Musik besser wäre?

    Ich finde, die Berichtersattung über den ESC und über die Menschenrechtssituation passt wunderbar zusammen. Das Regime hier will sich mit dem ESC eine moderne, weltoffene Fassade geben. Und Journalisten gucken, was hinter dieser Fassade steckt und welche Opfer dafür gebracht wurden, sie zu errichten. Ich würde das als journalistischen Alltag bezeichnen.

    Ihren Mittelteil verstehe ich nicht. Wenn ich als Journalist hier die Möglichkeit habe, Missstände offen anzusprechen, ohne zu riskieren, dafür zusammengeschlagen oder mundtot gemacht zu werden — dann sollte ich diese Möglichkeit nicht nutzen, weil einheimische Journalisten sie ja auch nicht haben?

  16. @Peter ohne Wolf:

    („Ich bin aufrichtig der Meinung, dass Berichterstattung über diese Veranstaltung (um einen wertungsfreien Begriff zu verwenden) und Berichterstattung über die Menschenrechtssituation nicht sonderlich gut zusammenpassen.“)

    Ich halte ihre Argumentation für völlig verquer. Den Opfern in all diesen Ländern ist es völlig wurscht, aus welchen Gründen man auf ihr Schicksal aufmerksam wurde. Hauptsache, man thematisiert das. Und wenn Sie mal gelesen haben, wie sehr Stefan Niggemeier in den zurückliegenden Wochen hier und auch anderswo darauf aufmerksam macht, können Sie das selbst bei ihrem schlechtesten Willen nicht auf „Zickenkrieg“ reduzieren.

    Mein Eindruck von Ihnen, Peter, ist: sie hängen ihre Maßstäbe so hoch, dass Sie bequem darunter durchlaufen können. Es gibt für Sie offenbar viele Gründe, sich NICHT um etwas zu kümmern.

  17. @Peter ohne Wolf

    Vor allem würde mich mal interessieren, wessen Gastfreundschaft man unterläuft? Die des Regimes oder die der Menschen vor Ort?

    Und wenn das Regime ein so großes Interesse daran hat, den Leuten glänzende Fassaden, Fackeltürme oder sonstwas zu präsentieren, darf man nicht mal nachfragen, worauf dieses Interesse fusst? Weil ja soviel Leid in der Welt ist? Wo und worüber darf man denn berichten? Wo darf man, wenn überhaupt, anfangen? Ist eine Reportage übers Frankfurter Bahnhofsviertel unzulässig, weil in Afrika zu Kinder hungern? Darf man nicht über Hartz IV schreiben, weil in Mexico Öl ins Meer läuft?

    Was für ein Menschenbild ist denn das bitte?

  18. Vielleicht sollte man das anprangern von Menschenrechtsverletzungen den Profis von amnesty international überlassen, die verstehen ihr Handwerk! Vor allen Dingen machen die das nachhaltig und nicht nur, weil sie gerade wegen des ESC zufällig vor Ort sind.
    Ich nenne das was Herr Niggemeier und seine Journalistenkollegen machen „Menschenrechtsanprangerungstourismus“, in 3 Wochen redet niemand mehr über Azerbaidschan, dann versucht man sein Gewissen in Polen und der Ukraine zu beruhigen.

  19. Und weil die BBC ganz, ganz kritisch, total investigativ und sauer ist, gibt es dann so eine http://www.bbc.co.uk/programmes/b0070hvg Partyseite…das ist schon alles extrem heuchlerisch…EINFACH NICHT SENDEN wäre die Lösung, aber das wäre ja zu einfach und man müßte Flagge zeigen. Für Einschaltquoten geht man in der EBU am Ende (fast) über Leichen…

  20. @Frank Reichelt: Meinen Sie das nur auf den konkreten Fall bezogen, oder sollte man Journalismus mit seinem ADHS generell abschaffen und alles den „Profis“ überlassen? Und woher erfahren die Menschen, die keine amnesty-Mitglieder sind oder deren Berichte abonniert haben, davon, was amnesty sagt?

  21. „Hauptsache, man thematisiert das.“

    Stimmt das, ist das die Hauptsache? Ist durch „Thematisieren“ alleine irgendjemandem geholfen? Ist „Thematisieren“ jetzt schon fpr sich alleine eine Leistung?

    Stefan Niggemeier ist Grand Prix-Fan, ich denke, das stimmt so. Der Grand Prix findet dieses Jahr gemäß Regularien in Aserbaidschan statt. Deshalb interessiert sich Stefan Niggemeier jetzt für Aserbaidschan und, da es dort Menschenrechtsverletzungen gibt, auch für diese Menschenrechtsverletzungen.

    Demnächst schreiben wir alle Sorgen dieser Erde auf kleine Zettelchen und ziehen eins, um Stefan Niggemeiers nächstes Lieblingsthema auszuwählen.

    Ehrlich: Auf mich wirkt das so, als wäre jemandem der Status als „Fan“ ein wenig peinlich und als versuchte er, diesen durch ein wenig Schreibtischmut zu adeln. Daran ist nicht Schlimmes, es ist nur ein wenig albern.

  22. Fran Reichelt: Sprechen Sie für amnesty? Oder haben Sie zumindest mal gefragt, was amnesty in diesem Fall von Stefans Berichten hält? Das sollten Sie vielleicht mal tun, wenn es ihre Zeit erlaubt.

  23. @Peter ohne Wolf
    „Abseits vom Pop-Pomp interessiert dieses Land und seine Menschen hier niemanden. Und das wird auch in einer Woche wieder so sein (…) Die Menschenrechtssituation in Turkmenistan z.B. interessiert immer noch niemanden, weil dort kein Engelbert singt. “

    Wie kommen Sie eigentlich darauf, solche waghalsigen Aussagen zu machen? Möglicherweise schließen Sie von sich und Ihrem Umfeld auf andere – eine Methode, die schon erkenntnistheoretisch hochproblematisch wäre.

    Man kann das auch ganz anders sehen. Die Globalisierung, viel geschmäht, bringt auch die Universalisierung der Menschenrechte voran. Heute gibt es nur noch wenige bewohnte Flecken der Erde, die in dieser Frage nicht unter Beobachtung stünden. Über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan oder Turkmenistan können Sie sich seit langem gründlich informieren – ganz unabhängig vom globalen Veranstaltungskalender. Die Informationslage wird dichter in dem Maße, wie die Aktivisten in den betroffenen Ländern mit den Medien in den halbwegs demokratischen Ländern kommunizieren können. Und stellen Sie sich mal vor: es gibt Journalisten, die recherchieren!

    Ich habe eher den Eindruck, dass Ihnen die Menschenrechte schlicht Hekuba sind. Nun gut, auch für die Menschenrechte sich nicht zu interessieren, ist eines. Ob diese Abstinenz Ihre Beiträge intelligenter macht, wage ich zu bezweifeln.

  24. #32:
    Zitat:
    „Stimmt das, ist das die Hauptsache? Ist durch »Thematisieren« alleine irgendjemandem geholfen? Ist »Thematisieren« jetzt schon fpr sich alleine eine Leistung?“

    Ja. Natürlich!

    Wenn Sie morgens zur Arbeit gehen, müssen Sie zuerst mal aus dem Bett. Richtig?
    Ist aus dem Bett steigen eine Leistung?
    Versuchen Sie es doch mal ohne. Sie werden nie an Ihrem Arbeitsplatz ankommen.

    Thematisieren ist alles. Es ist der nötige erste Schritt, ohne den GAR nichts geht.

    Und was den „albernen Schreibtischmut“ angeht: Viel mutiger und besser ist es natürlich, gar nichts zu machen und auf die herabzusehen, die wenigstens was Thematisieren.

    Oh Mann, oh Mann…

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