Frankfurter Allgemeine Zeitung
Diese Serie ist eine Zumutung. Das fängt schon damit an, dass sie ihre Zuschauer konsequent im Unklaren lässt, um welches Genre es sich überhaupt handelt. Hat man sich gerade in dem wohligen Gefühl eingekuschelt, eine schwarze Komödie zu schauen, reißt sie einem mit schockierend ernsten Wendungen und einer grausamen Gnadenlosigkeit gegenüber ihren Figuren den Boden unter den Füßen weg. Andererseits lässt sie gerade in die düstersten Momente des Dramas gern Knalleffekte von unfassbarer Komik platzen.
Ungemütlich macht sie es dem Zuschauer aber auch in der Frage, wie er sich zu den Charakteren und ihren Entscheidungen verhalten soll. Natürlich fiebern wir mit der Hauptperson Walter White mit, einem biederen fünfzigjährigen Chemielehrer, der nach der Diagnose, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein, beschließt, für seine Familie zu sorgen, indem er anfängt, im großen Stil die Droge Chrystal Meth zu produzieren. Aber gerade, wenn man es geschafft hat, die Schattenseiten dieses Geschäftes auszublenden, und aus Sympathie zu dem hoffnungslosen ewigen Verlierer wünscht, dass er nicht ertappt wird, führt uns die Handlung die Unhaltbarkeit dieser Position vor, das Elend, die Kriminalität, die Unmenschlichkeit, die diese Droge und der Handel mit ihr produzieren.
„Breaking Bad“ lockt sehr wirkungsvoll mit dem Reiz des Verbrechens, entpuppt sich aber als eine zutiefst moralische Serie, welche die Charaktere mit ihren Selbsttäuschungen, unter bestimmten Bedingungen das Falsche tun zu dürfen, nicht davonkommen lässt. Nur mal ein bisschen Drogen produzieren, in einer persönlichen Notsituation und mit besten Absichten, ist keine Option. Die Figuren geraten in einen Sog, der sie zu immer auswegloseren Entscheidungen zwischen zwei Übeln zwingt, Entscheidungen auf Leben und Tod. Den ersten Menschen hat der brave Walter White schon in der ersten Folge auf dem Gewissen. Danach gibt es kein Zurück. „Breaking Bad“ zeigt uns den Absturz des Walter White, der gleichzeitig eine Befreiung ist. Eine Befreiung aus einem bürgerlichen Alltag voller Routine, Kleinmut und Vernunft, Demütigungen und Zumutungen, symbolisiert schon durch das Auto, das White fährt: einen unförmigen, plastikhaften Pontiac Aztek, schrecklich praktisch und uncool bis weit über die Grenze der Lächerlichkeit hinaus. Als Chemielehrer ist sein Talent verschwendet, die Schüler dämmern vor sich hin, als Drogenproduzent aber kann White seine Genialität zeigen, wird respektiert und schließlich gefürchtet.
„Breaking Bad“ ist eine dieser phänomenalen amerikanischen Serien mit fortlaufender Handlung, die seit einigen Jahren weltweit Furore machen und das Genre zu neuen Höhen und nie geahnten Tiefen geführt haben. Sie stammt nicht von einem der großen Networks oder dem Pay-TV-Kanal HBO, sondern von dem kleinen Kabelkanal AMC, der auch „Mad Men“ in Auftrag gegeben hat und ursprünglich bloß Filme wiederholt hatte. Kreativer Kopf hinter „Breaking Bad“ ist Vince Gilligan, der viele Folgen von „Akte X“ geschrieben und produziert hat.
Das Wichtigste an Figuren, sagt er, sei ihre „Relatability“, das Maß, in dem wir uns in sie hineinversetzen, ihre Hoffnungen und Träume nachvollziehen können. Walter White ist ohne Zweifel eine solche Figur, gespielt von Bryan Cranston, den deutsche Fernsehzuschauer aus seiner Rolle des Vaters in der Sitcom „Malcolm mittendrin“ kennen und der für seine beklemmende Darstellung in „Breaking Bad“ schon drei Emmy-Auszeichnungen in Folge bekommen hat. Am Anfang, sagt Autor Gilligan gegenüber einer kanadischen Nachrichtenseite, hatte er das Gefühl, diesen Walter White zu kontrollieren, ihm Wörter in den Mund zu legen. Aber je weiter sich die Show entwickelte, je mehr Grenzen White überschritt, umso mehr hatte er das Gefühl, dass White ein Eigenleben entwickelte und ihm das Drehbuch diktierte. Die Figur, die er erfunden hatte, erkannte er nicht mehr wieder in dem, was aus ihr geworden war. Dem Zuschauer ergeht es auf eine beklemmend-faszinierende Weise ähnlich.