Die Welt
Wir waren gewarnt. Schon im Motorradverleih in Christchurch haben sie uns nicht eher mit einer Honda Transalp und einer BMW F650 GS vom Hof rollen lassen, ehe sie mit dickem Filzstift in einer Karte die Orte eingezeichnet hatten, an denen sich der Kea gerne herumtreibt. Wir bekamen Faltblätter, und an den Wänden hingen Steckbriefe, die zeigten, wie der Feind aussieht, vor dem wir uns in Acht zu nehmen hatten: ein grüngefiederter Bergpapagei. Ein bißchen stämmig vielleicht und mit beeindruckendem Schnabel, aber ein Vogel.
Ich habe in den vier Jahren, die ich Motorrad fahre, Respekt vor vielem gelernt: vor Öl und Schotter, vor Kurven und Ausfahrten, vor Autofahrern sowieso und in diesem vierwöchigen Motorradurlaub in Neuseeland ganz speziell vor deren Verkehrsregeln, die entgegenkommenden, abbiegenden Fahrzeugen, die die eigene Spur kreuzen, in bestimmten Fällen Vorfahrt einräumen, was für einen mitteleuropäischen Motorradfahrer ebenso unverständlich wie lebensgefährlich ist. Aber ein Vogel? Welcher Motorradfahrer hat Angst vor einem Vogel?
Unsere Überheblichkeit schwand, als wir uns den südlichen Alpen Neuseelands näherten und immer häufiger Leute trafen, die den Kea kannten. Die nicht nur um seine beunruhigende Leidenschaft für Gummi wußten und um seine Fähigkeit, Scheibenwischer von Autos in kürzester Zeit auf ein trauriges Metallgestänge zu reduzieren und komplette Sitzbänke von Motorrädern zu entfernen, sondern die ihn bei der Arbeit beobachtet hatten.
Effizient organisierte Arbeit, wie sie versicherten. In Gruppen lauere er auf den Parkplätzen den Touristen auf. Einmal, erzählte uns ein Neuseeländer, habe er beobachtet, wie drei, vier Keas mit ihren drolligen Hüpfbewegungen die Besitzer eines Autos abgelenkt hätten, während hintenrum ein einzelner sich unbemerkt am Wagen zu schaffen machte. Das klang beunruhigender als die Horrorgeschichten von neapolitanischen Taschendieben. Zum ersten Mal spielten wir mit dem Gedanken, den Besuch des grandiosen Franz-Josef-Gletschers abzusagen und die ganze Gegend weiträumig zu umfahren.
Natürlich sind wir doch hingefahren. Ich weiß nicht mehr, was wir zuerst gesehen haben, als wir den Parkplatz erreichten: Die Vögel, die Menschen, die sie fütterten, oder die großen Schilder, die die Menschen davor warnten, die Vögel zu füttern.
Schlagartig war uns klar, daß diese wohlgenährten Tiere auf das Gummi unserer Maschinen nicht aus Not aus waren, sondern aus reiner Bösartigkeit. Möglicherweise aus Langeweile. Wie eine Jugendgang, die auf dem Dorfplatz herumlungert und die Fremden vergrault, weil sie nichts besseres zu tun hat, und einfach: weil sie es kann.
Der Parkplatz war voll von intelligent aussehenden Flauschtieren, die mit den Autobesitzern Tänze veranstalteten: Du einen Schritt vor, ich einen Schritt zurück. Theoretisch waren sie niedlich. Aber wir sahen in ihnen nur noch die Hooligans, die unsere Motorräder fressen wollten.
Wir haben dann den Franz-Josef-Gletscher nicht richtig angeschaut. Wir waren nur zu zweit, und einer mußte ja immer bei den Maschinen bleiben.