Jörg Walberer, Noch-Chefredakteur der „Hörzu“, entblättert seine Seele.
Es ist nicht leicht, Jörg Walberer zu sein. Neulich wieder wurde er schief angesehen, nur weil er mitten in einem „ernsten Gespräch“ (Krebs? Arbeitslosigkeit? Tod?) sagte: „Das Leben ist doch schön.“ Einfach so. Grundlos. „Weil mir danach war.“ Und stimmt es nicht? „Des Frühlings wärmende Sonnenstrahlen, das morgendliche Vogelkonzert und bald der Blick auf Wiesen voller Gänseblümchen?“ Also! „Ich glaube, die meisten von uns haben, auch wenn sie weniger haben, immer noch mehr als genug.“
Seit Jörg Walberer die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ vor einem Jahr nach seinen Wünschen umgestaltet hat, hat sie viel weniger Anzeigen. Aber es sieht nicht so aus, als ob siebzig Prozent des Vorjahres genug sind, geschweige denn mehr als das. Der Axel Springer Verlag hatte ihn als Chefredakteur von der „Gala“ geholt, um aus dem altmodischen Familiendampfer ein flottes Promiblättchen zu machen, was vielleicht ein paar der ohnehin weniger werdenden Leser verschrecken könnte, aber wenigstens bei der Werbebranche super ankommen würde.
Dachte man.
Nach Lesern und Anzeigenkunden verlassen jetzt leitende Redakteure das Blatt; womöglich ist Walberer selbst bald dran. Es wäre ein Verlust. Kein anderer Chefredakteur schreibt Editorials wie er. Früher stand vorn in der „Hörzu“ eine kommentierte Führung durchs Heft, Walberer führt die Leser durch das Labyrinth in seinem Kopf: bizarre Felsformationen, dahinter, im Nebel, die Abgründe seiner Seele. „In eigener Sache“ steht darüber.
Man ahnt, daß Walberer gefällt, wie Franz-Josef Wagner in „Bild“ schreibt. Wie er scheinbar sinnlos Satzfragmente und Wörter aneinanderreiht und trotzdem nicht als wahnsinnig gilt, sondern als genial. Walberer versucht das auch. Er schreibt: „Das Leben war immer mühsam, immer anders mühsam, so wie es immer schön war, weil es immer anders schön war.“ Walberer gefällt sein Satz, er druckt ihn fett und in Großbuchstaben. Sicher ist er überzeugt, daß das „weil“ darin kein Fehler ist, sondern Kunst.
Man muß davon ausgehen, daß er die deutsche Sprache für seinen Freund hält. Das Wort, schreibt er, „vermag wie eine Ameise das Vielfache des eigenen Gewichts zu tragen, so als sei es nichts. Wir können es anfassen, können es drehen und wenden und biegen und brechen, wie einen Wurm können wir Sätze auseinandertrennen, und jedes Ende kann weiterleben für sich. Vielleicht hat es dann sogar mehr Kraft.“ Also dreht, wendet, biegt und bricht Walberer das Wort, und niemand hindert ihn, Sätze „auseinanderzutrennen“ wie ein Sechsjähriger einen Wurm, obwohl längst kein Ende mehr lebt. „Krieg ist kein Wort“, schreibt er zum Thema Irak. „Unsere einzige wirkliche Waffe ist das Wort. Auch wenn wir nichts tun können, wir haben etwas getan. Wenn die Welt aufgehört hat zu reden, fängt es an. Egal, wie es ausgeht.“ Hier endet der Text.
Einmal erklärt er, warum es nichts bringt, Leute zu entlassen. „Menschen kosten Geld. So oder so. Vielleicht ist es ein bißchen weniger unter dem Strich, wenn sie arbeitslos sind. Aber vielleicht sparen diese Leute dafür viel mehr, als sie weniger haben. Auch schlecht für unsere Unternehmen.“ Womöglich will Walberer sagen, daß Arbeitslose auch schlecht für die Wirtschaft sind, weil sie wenig konsumieren. Aber warum einen banalen Gedanken banal formulieren, wenn man den Leser sich stundenlang in der Rechenaufgabe verlieren lassen kann, wieviel ein Arbeitsloser mehr spart, als er viel weniger hat?
„Der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist etwa so wie der zwischen Besitz und Eigentum. Ich kann in einer Wohnung wohnen, auch wenn sie mir nicht gehört.“ Aber ist das nicht der Unterschied zwischen Miete und Eigentum? „Ich muß nicht einsam sein, auch wenn ich gerade allein bin.“ Ah: Also wie der Unterschied zwischen Betrunkensein und Blödsein. „Alleinsein kann man genießen, Einsamkeit muß man ertragen. Aber ertragen heißt auch sich arrangieren. Sich arrangieren heißt etwas tun.“ Sekunde: Heißt sich arrangieren nicht nichts tun? „Wir können etwas gegen die Einsamkeit tun. Wir können reden, wir können auch zu zweit oder zu dritt durch den rauschenden Wald gehen.“ Gut, dann sind wir nicht mehr allein. Aber vielleicht noch einsam? „Sich arrangieren heißt nicht unbedingt hinnehmen.“ Doch! „Mit dem Alleinsein kann man umgehen.“ Aber was ist mit der Einsamkeit? Kann man mit der umgehen? Sich arrangieren? Sie hinnehmen?
Andere Frage: Wie kann man sich mit diesem Chefredakteur arrangieren? Mit einem, der nichts weiß, nichts wissen will und nicht weiß, wie man es aufschreibt, so daß andere es verstehen?
Vor zwei Wochen schreibt Walberer uns: „Auch wenn ich mir möglicherweise ein Armutszeugnis ausstelle: Wenn ich anfange, nachzudenken, was ich wirklich genau wissen will, fällt mir nichts ein. Ich möchte nicht wissen, was ich kann und was ich nicht kann, was andere über mich denken, was sie mir zutrauen oder nicht zutrauen. Ich möchte mir diese kleine Illusion vorbehalten, ich könnte das eine oder andere eigentlich noch schaffen, wenn ich es nur wollte. Ich möchte nicht wissen, wenn es zu spät ist.“
Herr Walberer? Jetzt.
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