Süddeutsche Zeitung
Hans Meiser zeigt, daß frei erfundene Talkshows am erfolgreichsten sind — die Konkurrenz sieht es mit Grausen.
Wenn Hans Meiser nach einem kleinen Spaß zumute ist, steckt er sich seinen Klaus-Kopka-Button ans Revers. Klaus Kopka war früher CSU-Landtagsabgeordneter und ist heute Vorsitzender des Medienrates der Bayerischen Landesmedienanstalt. Er hat viel Zeit fernzusehen, und viele Möglichkeiten, mit seinem Urteil über das, was er sieht, in die Schlagzeilen zu kommen. Meiser ist Kopkas Lieblingsgegner, und Kopka der von Meiser. Deshalb trägt Meiser gelegentlich in seiner Talkshow den Anstecker mit Kopkas Bild und sagt ironisch, wie sehr die beiden doch das Streben nach „sauberen Talk“ eine.
Wenn Hans Meiser nach einem großen Spaß zumute ist, macht er Sendungen, von denen er weiß, daß sie Leute wie Kopka besonders ärgern werden. Er läßt seine Gäste übereinander herfallen, intimste Geheimnisse offenbaren, sich gegenseitig das Leben ruinieren — und in dem Moment, wenn der Abspann läuft und Kopka vermutlich gerade zum Hörer greift, um seine Empörung einem Journalisten anzuvertrauen, verrät er, daß alles nur ein Spaß war. Frei erfunden, von Schauspielern dargestellt. Als Aprilscherz hat er das in diesem Jahr gemacht, der verwirrenderweise schon am 31. März ausgestrahlt wurde. Und am Montag dieser Woche wieder.
Es war der Tag nach Muttertag; die Sendung hieß „Mami, mit dir hab ich noch eine Rechnung offen“. Sie bestand im Wesentlichen daraus, daß sich Familienmitglieder gegenseitig beschimpften, mit ihren Liebhabern konfrontierten, handgreiflich wurden und bekannten, mit ihren Schwiegersöhnen geschlafen zu haben, was sie anhand des Intimschmucks beweisen konnten. Nachdem die Geschichten sich ins Absurdeste gesteigert hatten, enthüllte Moderator Meiser am Schluß, daß es tatsächlich nur Geschichten waren. „Märchen“, wie in der erfolgreichen Aprilscherz-Sendung. Die habe ja, erklärte Meiser, „so manchen Medien- und Moralapostel aufgeregt“.
Und nicht nur Kopka. Auch die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), die von den Privatsendern mit der Überwachung des Jugendschutzes betraut ist, war über Meisers Idee nicht glücklich. „Wenn die Sendung am 1. April gelaufen wäre, hätten die Zuschauer sie vielleicht von vornherein mit anderen Augen angesehen“, sagt Geschäftsführer Joachim von Gottberg. „So aber haben die Leute das übliche Geschäft erwartet.“ Das sei problematisch. Meiser ist der einzige Talkmaster, der sich an anderen Tagen als dem 1. April traut, das eigene Genre und sich selbst unangekündigt zu parodieren — in seiner eigenen Show Meiser und in der Sendung Birte Karalus, die auch von seiner Firma Creatv produziert wird. Creatv-Sprecherin Jutta Oellig erklärt, man habe nach der Aprilscherz-Sendung so viele Zuschauerpost mit Talk-Märchen bekommen. Und warum zum Muttertag? Weil diese Einrichtung doch „eigentlich absurd“ sei, sagt Oellig.
Die Sorge, daß viele Zuschauer vor dem Schluß der Sendung umgeschaltet und die Auflösung verpaßt haben, scheint unbegründet: Die Muttertags-Sendung schaffte es, die Zuschauer zu fesseln. Bis zum Finale wuchs die Quote kontinuierlich, von einer auf über zweieinhalb Millionen. Das ist bei Meiser sonst nicht immer der Fall. Jugendschützer Von Gottberg zweifelt jedoch, ob ein 13jähriger wirklich in der Lage sei, sich im Nachhinein von dem Gesehenen zu distanzieren. „Wenn Menschen eine Stunde lang nach allen Regeln der Kunst vorgeführt werden und das erst in den letzten drei Minuten aufgelöst wird, stellt sich die Frage: Wird die Wirkung der ganzen Fürchterlichkeiten, des Hasses und der Verletzung der Menschenwürde dadurch relativiert? Oder sind die vorher geweckten Emotionen viel zu groß?“
Kollegen und Konkurrenten von Meiser gehen auf Distanz: „Wir würden das nie machen“, sagt Talk-Produzent Peter Schwartzkopff (Sonja, Andreas Türck, Pilawa). Die Versuche Meisers beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit aller. „Es ist nicht in Ordnung, wenn ein echter Moderator plötzlich in einer Talkshow mit nicht echten Gästen steht.“ Wenn Meiser Märchen ansagen wolle, dann auch immer und konsequent — in einer Show wie dem Comedy-Talk TV Kaiser. Was immer Meiser geritten habe — als Provokation der Medienanstalten seien seine Aktionen in jedem Fall „unklug“.
Angesichts der anhaltenden Schmuddel-Diskussion haben Meisers Späße Sat 1-Sprecherin Kristina Faßler gerade noch gefehlt. Damit würde ausgerechnet das Kernargument der Privatsender konterkariert, daß die Talkshows „einfach Realität“ abbildeten. Die Glaubwürdigkeit ist der wunde Punkt der Shows: Einerseits leben Meiser, Sonja, Arabella und Co davon. Sat 1 kündigt seine Talkshows gar als „Information“ an. Andererseits hat der Sender in einem Verfahren, das ein Mann, der in Vera am Mittag als gewalttätiger Alkoholiker geoutet wurde, gegen den Sender angestrengt hatte, argumentiert: Die Zuschauer wüßten, daß es sich nicht um Journalismus handle, sondern die Talks Gästen nur eine Art „Tanzfläche“ böten. Also doch eher Fiktion als Realität?
In den getürkten Shows geht es noch heftiger zu als im Talkalltag von Meiser und den anderen. „Wenn das wahre Geschichten wären, würden wir das nicht zeigen“, räumt creatv-Sprecherin Oellig ein. Der Gedanke liegt nahe, daß Meiser auf die fiktive Ebene wechselt, um sich richtig austoben und neue Grenzen erproben zu können. Von Gottberg fragt, ob so der Verhaltenskodex, den sich die Privatsender gegeben haben, unterlaufen werden solle. Ein Freibrief wäre der Einsatz von Schauspielern allerdings nicht. „Allein als Ausrede für Exzesse reicht mir das nicht“, sagt Von Gottberg. „Es gibt keine Legitimation“, sagt Sat 1-Sprecherin Faßler, „mit Schauspielern Verhaltensweisen zu zeigen, die mit real existierenden Menschen nicht gezeigt werden dürften.“
Creatv versichert, weitere Fakes seien vorerst nicht geplant. Allerdings sahen am Montag über 900 000 junge Zuschauer zu, wie die „Tochter“ ihrer „Schlampe“ von „Mutter“ die Perücke vom Kopf riß. So viele erreichte Meiser in den Wochen davor mit keiner Sendung. Die beiden erfundenen Sendungen hatten die höchsten Marktanteile aller Meiser-Sendungen der letzten Zeit. Es wäre das erste Mal, daß ein Privatsender auf den Einsatz eines dramaturgischen Mittels verzichtete, das besseren Quoten bringt.
Meiser treibt ein gewagtes Spiel: Ausgerechnet in einem Genre, in dem falsche Gäste ohnehin eher Regel als Ausnahme sind, spielt er mit Erwartungen und Vertrauen des Publikums. Aber vielleicht protestieren die Konkurrenten auch deshalb so laut, weil Meiser einen Trend entdeckt haben könnte: Daß es den Zuschauern möglicherweise egal ist, ob die Leute, denen sie beim Streiten zusehen, echt sind oder nicht. Dann hätten die Produzenten sich die Auseinandersetzungen um verletzte Persönlichkeitsrechte sparen können. Und das bißchen Recherche noch dazu.
Was sich in den letzten 12 Jahren doch so alles geändert hat.
Hmm, sag mal Stefan:
WIE alt bist Du eigentlich? Der Beitrag ist schon ziemlich alt…
;)
Im Nachhinein ein prophetischer Artikel, was die Entstehung von Scripted Reality angeht. Das ist genau das Gedankengut, aus dem das entsprungen ist: billig zu realisieren, ohne Rechercheaufwand und dramatischer als das reale Leben.
urks, is das schon wieder über ne dekade her? weia.
zum glück hab ich seit jahren keine glotze mehr…
erschreckend wie alles immer schlechter wird, aber egal, hab keinen Fernseher und vermisse ihn auch nur extrem selten.
Das Ende ist ohnehin abzusehen, das Niveau wird noch weiter sinken, immer mehr gebildete werden weniger gucken und aus lange Sicht werden sich entweder Internetangebote oder vll. doch Bezahldienste wie Sky durchsetzen.