sid beruft Olympia-Mann ab

Der Sport-Informations-Dienst (sid) hat seinen Redaktionsleiter Dieter Hennig abberufen. Das hat sid-Geschäftsführer Michael Cremer gegenüber dem Journalisten Jens Weinreich bestätigt. Weinreich berichtet, dass es in der sid-Redaktion „härtere Auseinandersetzungen um die Berichterstattung und den Kurs von Hennig“ gegeben haben soll. Geschäftsführer Cremer wollte das nicht bestätigen, sagte laut Weinreich aber:

„Wir müssen in Peking differenziert berichten und dürfen uns nicht nur auf den rein sportlichen Aspekt beschränken. Wir dürfen nicht in so eine Hurra-Falle laufen.“

Die IOC-Berichterstattung wird von heute an aus dem Berliner Büro des sid geleitet. Dieter Hennig darf auf Vorschlag des IOC (ebenso wie vier andere Journalisten aus anderen Ländern) am Mittwoch in Peking die olympische Fackel tragen. Cremer sagte:

“Dieter Hennig wird als Privatmann am olympischen Fackellauf teilnehmen, aber nicht als Redaktionsleiter des sid.“

Der sid-Geschäftsführer fügte hinzu, „anders als unterstellt wurde“ habe es „keinen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung des sid und dem Fackellauf von Dieter Hennig gegeben“. Hennig vertrete seine Linie seit Jahrzehnten.

Ich habe keinen Zweifel, dass das stimmt. Ich habe nie vermutet, dass Hennig vergangene Woche so IOC-freundlich (und falsch) berichtet hat, weil er für den Fackellauf nominiert wurde. Meine Vermutung ist, dass er für den Fackellauf nominiert wurde, weil er seit Jahrzehnten so IOC-freundlich berichtet hat. (Auch das ist allerdings eine Unterstellung.)

Weitere Informationen in Jens Weinreichs Blog.
Mehr zur Vorgeschichte hier und hier.

21 Replies to “sid beruft Olympia-Mann ab”

  1. Ist es richtig, dass in dem Zitat im zweiten Satz „Berichterstatttung” mit Triple-T geschrieben wurde?

  2. Erstaunlich ist es schon, dass der sid Hennigs Verhalten erst jetzt fragwürdig findet und tadelt. Da darf man vermuten, dass ohne die kritische Berichterstattung über diesen Mann in den vergangenen Tagen nicht geschehen wäre, was jetzt offenbar geschehen ist. Das ist natürlich auch nur eine Unterstellung. Hennigs Abberufung ist zweifellos eine gute Nachricht, aber eine mit Beigeschmack.

  3. @2/Christoph Wesemann
    Hennigs Abberufung ist zweifellos eine gute Nachricht, aber eine mit Beigeschmack.
    Beigeschmack? Hätte man ihn vielleicht besser vor dreissig Jahren (?) nicht einstellen sollen? Was müsste man sonst noch tun?

  4. @ Gregor Keuschnig

    Ich meinte: Hennig wäre noch im Dienst ohne Niggemeier, Weinreich und Zaschke. Das ist für mich ein Beigeschmack. Ja, ich denke, er hätte früher gehen müssen, und es ist ja nicht so, dass es an Leuten fehlt, die vormachen oder wenigstens erklären, wie Sportberichterstatter und Journalisten insgesamt sein sollten.

  5. @5/Christoph Wesemann
    Schneller als nach ein paar Tagen reagieren kann der „sid“ nicht. Das hat mit „Beigeschmack“ nichts zu tun; das ist immanent.

    Der „sid“ ist ein ergebnisorientierter Informationsdienst. Das ist im Sport noch leichter als in der Politik. Da wird gemeldet, wer wie gewonnen hat. Eine gewisse Nähe zu Verbänden und Organisationen bleibt da nicht aus. Mich regen ehrlich gesagt fünf Stunden öffentlich-rechtliche Tour-de-France-Berichtsterstattung, in denen dann alle halbe Stunde gewisse Alibi-Doping-Gedächtnisminute stattfindet, mehr auf. Wenn ich Hintergrundberichte zum Sport benötige, würde ich nie auf die Idee kommen, den „sid“ zu konsultieren.

  6. @6/Gregor Keuschnig

    Alles richtig, ich stimme zu. Das Dumme ist nur: Die meisten oder zumindest sehr viele konsultieren und konsumieren „sid“, wenn es um Sport geht. Ich glaube aber auch, dass das Argument, eine gewisse Nähe müsse sein, zu gern hervorgeholt wird. Auf Dauer erfährt man eher weniger, wenn man immer nur schreibt, was der Gesprächspartner erzählt. Fies ausgedrückt: Anderswo auf der Welt sterben Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen, in Deutschland fürchten sie sich vor dem Liebesentzug des Bürgermeisters, Fußballtrainers und Wirtschaftsministers. Ich klinge wie ein Journalistikprofessors. Ich wollte das gar nicht.

  7. Hat sich der Fackelträger doch die Finger verbrannt. Dank dafür an alle Berichtenden. Auf den Komplett-Boykott warte ich aber wohl vergeblich.

  8. Hätte Hennig an dem Fackellauf nicht so oder so als Privatmann teilgenommen? Es hieß doch schon vorher, dass er nach den Spielen seine berufliche Laufbahn beendet, oder? Arbeitet er jetzt bis zum Fackellauf noch ein bißchen weiter, oder wurde er tatsächlich in den Vorruhestand geschickt?

  9. Öhm… ja – Grobi… war als Scherz gedacht auf Deine Frage „Wo ist Grobi, wenn man ihn braucht…“ . Sorry ist wohl nicht ganz rübergekommen.

  10. @6/Christoph Wesemann
    Ja, ich weiss, Anderswo hungern Menschen und ich hab mein Brot verschimmeln lassen…

    Das Dilemma, in dem sich der Sport seit Jahren befindet: Man versucht, eine heile Welt, eine Art Parallelwelt zu konstruieren – wird aber von der Realität (Kommerz, Doping, Politik) eingeholt. Das überfordert nicht nur Sportjournalisten, die in der Regel wohl auf eine „1:0-Berichterstattung“ konditioniert sind, sondern auch Konsumenten.

    Es ist gerade einmal dreissig Jahre her, da wurden Sportler von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, weil sie vorher Startgelder in Höhe von 1000 Dollar angenommen hatten – die Traumfigur des „reinen Amateurs“ wurde hochgehalten. Die Argumente pro und contra gleichen fast verblüffend denen, wie sie heute in der Dopingdiskussion verwendet werden. Genauer betrachtet war der port nie unpolitisch; Attentat München 1972, Boykott Moskau 1980, Gegenboykott 1984…

    Die Anstrengungen, ihn zwanghaft „sauber“ zu halten, haben meistens dazu geführt, ihn langfristig noch mehr zu beschädigen. Im Grunde genommen besteht aber zwischen den Sportidyllikern (IOC; „sid“) und den Sportkritikern ein heimlicher Konsens: Beide Seiten überinstrumentalisieren den Sport, in dem sie ihn überinterpretieren.

  11. „Ich meinte: Hennig wäre noch im Dienst ohne Niggemeier, Weinreich und Zaschke. Das ist für mich ein Beigeschmack.“

    Ja, finde ich auch. Vielleicht hat der sid noch einen kleinen Aufhänger gebraucht um Hennig „loszuwerden“.
    Schon blöd am Ende einer Berufslaufbahn so einen Abgang hinlegen zu müssen.

    Wobei abberufen ja hier wahrscheinlich nur bedeutet, dass Hennig nicht entlassen ist, sondern nur nicht mehr aus China berichten wird.

  12. Nicht neu ist, dass überall in den chinesischen Internetforen, also auch in Deutschland (etwa http://www.dolc.de/forum), dieser offiziellen Linie weitgehend gefolgt wird. Zhang, die seit 1990 für die DW arbeitet, wird als weiterer Fall von Zensur chinafreundlicher Berichterstattung gewertet, nachdem Anfang August der Sport Informations Dienst (sid) einen Mitarbeiter nach einer Falschmeldung im Vorfeld von Olympia abberief.

    http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/kleiner-kulturkampf/

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