WM-Fernsehen

Die Welt und ihre Freunde zu Gast bei mir. Mit Beginn der WM fallen bei den Fernsehsendern alle Hemmungen. Ein Selbstversuch.

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Es ist nur ein Gerücht, daß schon alles gesagt sei, aber noch nicht von allen. Im „Frühstücksfernsehen“ am Freitagmorgen sitzt die Sat.1-Hausastrologin und sagt mit der ihrer Berufsgruppe eigenen Ernsthaftigkeit Dinge, die vorher sicher noch nie jemand gesagt hat: „Egal wie es ausgeht, am Wochenende wird erst mal gefeiert“ — eine Prognose, die wir bei einer, sagen wir, 1:5-Niederlage der Deutschen doch gerne überprüft hätten. „Der Klinsmann ist ein Doppellöwe“, sagt sie noch. Und über Miroslav Klose: „Von dem werden wir hören.“ Da lacht sogar die Moderatorin.

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Freitagmorgen. Der Countdown im ZDF zählt schon die Sekunden runter. Es ist der Tag, an dem kein Moderator, kein Experte, kein Studiogast um den Satz herumkommt, daß es nun endlich losgeht. Also, „nun“ im Sinne von: in ein paar Stunden, bald, nicht mehr lange, noch genau: 12 Stunden, 25 Minuten und 4 Sekunden. Dann wird sogar das Endlich-Sagen endlich ein Ende haben. Endlich.

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Bei n-tv läuft um diese Zeit noch ein anderer, interner Countdown. Der, bis man wieder anfängt, frisches Programm zu produzieren. Hier laufen Nachrichtenattrappen, die man offenbar irgendwann kurz vor Mitternacht aufgenommen hat, um sie bis in den Morgen zu wiederholen. Die Wetterfrau sagt immer wieder schönes Wetter für den „morgigen“ Eröffnungsspieltag voraus. Die Nachrichtensprecherin sieht munterer aus als die Kollegin, die seit 5.30 Uhr das ZDF-Morgenmagazin moderiert. Aber sie verabschiedet sich noch um kurz vor sieben mit den Worten: „Kommen Sie gut durch die Nacht!“

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Bei der Konkurrenz von N24 hat man dagegen schon am frühen Morgen einen fast ungesunden Ehrgeiz entwickelt und reiht besinnungslos eine Live-Schaltung an die nächste. Reporter Ulli Köhler steht offenbar schon länger in Sichtweite des Stadions in München und muss dort abwechselnd für N24 und Sat.1 berichten. „Die Sonne, der Planet, scheint auch schon“, sagt er glücklich und erklärt freundlicherweise, die deutsche Nationalmannschaft habe ihr Hotel „im Englischen Garten, das ist ein großer Park mitten in München“.

Alexandra Karle steht für N24 zwischen Reichstag und Brandenburger Tor. „Alex, wie ist die Stimmung“, fragen die Moderatoren ihre Korrespondentin, hinter der ein paar Absperrgitter und ein Grüppchen gelangweilter Sicherheitsleute zu sehen sind. „Ehrlich gesagt“, antwortet Alex, „ist das schwer zu sagen, morgens um sieben.“ Sie berichtet dann immerhin noch, daß die Sicherheitskontrollen schon jetzt total streng seien. Hinter ihr fährt ein Fahrradfahrer unbehelligt durch die Absperrung. Dann ein Bus.

Weiter nach Gelsenkirchen zum N24-Reporter, der aus einem Jugendcamp berichtet. Bis vier Uhr morgens sei hier noch gefeiert worden, sagt er. Deshalb würden jetzt wohl auch noch alle in ihren Zelten schlafen. Aber schön, das mal live gesehen zu haben: Zelte.

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Auch n-tv hat inzwischen jemanden live auf dem Berg gegenüber der „FIFA-WM-Arena München“, wie erstaunlicherweise alle sagen. Frage vom Studio auf den Hügel: „Wieviel Spannung liegt in der Luft, Britta?“

Bei N24 informiert ein Laufband über Neues aus der Politik: Mehrere Politiker wollen an der Warschauer Schwulendemonstration teilnehmen: „Volker Beck und Claudio Roth“.

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Fernsehtechnisch gesehen ist das Schlimmste an so einer WM ja nicht, daß nichts anderes mehr läuft, sondern daß die Sender glauben, sie können uns nun alles zumuten. Das ZDF veranstaltete am Donnerstagabend eine „Fifa-WM-Ticket-Show“. Sie wäre deutlich unterhaltsamer und weniger chaotisch gewesen wäre, wenn man die Menschen einfach vor einen einzelnen Ticketcounter gestellt und den ersten 2000 eine Karte in die Hand gedrückt hätte.

Am Freitagnachmittag strahlte das ZDF eine Sendung aus, die als „Wir warten auf den Anpfiff“ angekündigt war, dann aber doch ohne das „Wir“ am Anfang auskam — vermutlich hatte noch irgendjemand im Sender genug Sinne beisammen, zu erkennen, wie peinlich treffend die Nähe zum Weihnachtsritual „Wir warten auf das Christkind“ war. Der „ZDF-Showtruck“ hatte am Marienplatz in München haltgemacht, und auf der „ZDF-Showbühne“ standen zwei Menschen, die es (ähnlich wie die Zuschauer) nicht fassen konnten, daß sie diese Sendung moderieren durften. Gelegentlich fragten sie jemanden, wer Weltmeister wird, und wenn die Antwort „Deutschland“ lautete, juchzte Moderatorin Yvonne Ransbach. Stargäste der Sendung waren Sibylle Weischenberg, die sonst im Sat.1-Frühstücksfernsehen lebt, Verona Pooth sowie Ramona und Jürgen Drews. Es ist nicht völlig auszuschließen, daß Frau Ransbach noch heute auf dem Marienplatz steht und „großartig, Wahnsinn, Wahnsinn“ ruft.

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Eröffnungsgottesdienst, live. Stellvertretend für die Kinder Afrikas sagt ein Junge: „Wir spielen lieber mit Bällen als mit Waffen.“ Bischof Wolfgang Huber predigt. Seine zentrale These: „Fußball ist ein starkes Stück Leben.“

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ZDF-Moderatorin Babette Einstmann trägt eine niedliche Kette mit drei Fußbällen und droht, wenn ich es richtig verstanden habe, für jede Niederlage der Deutschen einen davon aufzuessen. Zunächst aber schaltet sie ins „ADAC WM-Verkehrsstudio“ und fragt: „Worauf sollte man achten?“ Die Expertin antwortet: „Also, man sollte auf jeden Fall darauf achten: Wie komme ich hin? Das wichtigste ist: öffentliche Verkehrsmittel nutzen.“

Ins Gard-Haarstudio hat das ZDF, soweit ich gesehen habe, nicht geschaltet. Ausschließen möchte ich es aber nicht.

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Thomas Gottschalk hat die Gesprächstechnik des Multiple-Choice-Fragens in Deutschland etabliert: Gästen, die auf dem „Wetten daß“-Sofa Platznehmen, gibt er in einem längeren Monolog mindestens zwei ausführliche Antwortmöglichkeiten vor, zwischen denen sie sich nur noch entscheiden müssen. So bekommt der Zuschauer insbesondere bei maulfaulen internationalen Gästen die Illusion eines flüssigen Gesprächs, auch es wenn natürlich fast ausschließlich der Moderator redet.

Man ahnt also, was Johannes B. Kerner an dieser Fragetechnik gefallen könnte. Am Freitagnachmittag unternahm er einen ersten Versuch, Gottschalks Meisterschaft in dieser Disziplin streitig zu machen und gleichzeitig den als unverwüstlich geltenden Franz Beckenbauer ins Koma zu reden. Er fragte ihn: „Franz, so kurz vor dem Eröffnungsspiel, so kurz vor der Eröffnungsfeier: Kehrt bei Ihnen jetzt Ruhe ein? Daß Sie sagen, Kinder, ab sofort kann ich sowieso nix mehr machen? Freuen Sie sich über diesen Tag? Kommt jetzt die Gelassenheit? Ist jetzt sozusagen die kindliche Naivität eingekehrt in den Körper des Franz Beckenbauer? Oder gibt’s immer noch was zu tun? Und ist immer noch irgendein Stress?“

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Warum können Zeitungen trotz allen Freudentaumels immer noch berichten, dass die Hotelzimmer in München nur gut zur Hälfte ausgebucht sind, während das Fernsehen ununterbrochen den Eindruck erwecken muß, das nächste freie Bett befinde sich ungefähr in Südtirol?

Natürlich ist so ein WM-Eröffnungstag nicht der ideale Tag für kritische Nachfragen. Aber vielleicht hätten die enthusiasmierten Mittagsmoderatoren auf Michael Steinbrechers Thesen zum Zerwürfnis zwischen Ballack und Klinsmann nicht jedes Mal mit der Frage antworten müssen: „Und ist der Bus noch da?“

Und wer eine ZDF-Dokumentation über Beckenbauers Rundreise durch die Teilnehmerstaaten stolz damit beginnt, wie er als letzte Station auch den eigenen Sender besucht, vergibt sich ohne Not noch den letzten Mikrometer mögliche Distanz zu dieser Heilsgestalt.

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Humor könnte eine Möglichkeit sein, die Spannung aufzulösen und aus dem Zwiespalt der Fernsehleute herauszukommen, gleichzeitig als Animateure und Berichterstatter auftreten zu wollen. Oder, wie Kerner es formulierte: mit „journalistischer Distanz und emotionaler Nähe“ zu berichten. Aber Humor geht mit dieser Art Großereignis gar nicht.

Kerner versuchte es tapfer. Als er seine Gesprächsrunde unterbrechen mußte, damit das ZDF zeigen konnte, wie der Mannschaftsbus vom Hotel losfuhr, sagte er: „Das sind natürlich zeitgeschichtliche Ereignisse: Ein Bus fährt durch Deutschland. Da vergißt man, daß wir schon auf den Mond geflogen sind.“ Doch solche Ironie verpufft, wenn der Sender tatsächlich einen Hubschrauber gechartert hat und damit den ganzen Tag schon die „9,6 Kilometer“ zwischen Hotel und WM-Arena abgeflogen ist, gelegentlich auch mit Umweg über das Olympia-Stadion, „in dem Deutschland zum letzten Mal Weltmeister geworden ist — zumindest auf heimischen Boden“, wie der ZDF-Mann im Hubschrauber sagte. Manchmal filmten die Kameraleute vom Hubschrauber aus die Kameraleute auf dem Boden, und die vom Boden filmten zurück, und es war ein großes Hallo.

Die ARD, die gestern Vormittag übernahm, hat als Humorbeauftragten den Kabarettisten Fritz Eckenga in die eigene WM-„Wohngemeinschaft“ einziehen lassen, aber der setzte gegen das allgegenwärtige Zu-Wichtig-Nehmen auch keine Lockerheit, sondern Griesgrämigkeit, die auch nicht halt.

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Das große Talent von Johannes B. Kerner ist es, aus dem Stehgreif scheinbar druckreife Sätze formulieren zu können. Als Füllwörter fügt er nicht „äh“ oder „öhm“ ein, sondern Begriffe wie „sehr herzlich“ oder „ganz außerordentlich“. Wie Stuck kleben wichtigtuerische Substantivkonstruktionen in seinen Sätzen. Das Nichts ist mit eindrucksvollen, kompetenzheischenden Ornamenten dekoriert.

Das große Talent von Jürgen Klopp ist es, dass er es merkt. Der Mainzer Trainer ist nicht nur deshalb so ein Glücksgriff für das ZDF, weil es schafft, Kompetenz und Verständlichkeit zu kombinieren, sondern auch, weil er der ideale Sidekick für Kerner ist. Mit einem einzigen Laut kann er die Luft aus einer Kerner-Frage herauslassen. Wenn der fragt, ob es nicht ein Fehler war, daß die Nationalmannschaft noch nie in der neuen Münchner Arena gespielt hat, macht Klopp ein Geräusch wie „öapf“, was klingt wie: „Ja, Gott, man kann natürlich in alles etwas hineininterpretieren, aber für diesen Kindergartenkram sucht Euch bitte jemand anderen.“ Als Kerner eine lange Reihe von Statistiken zitiert und nach der „Magie“ von Eröffnungsspielen fragt, sagt Klopp: „Mir ist das scheißegal, wie die alle gespielt hatten“, und das Publikum in der „ZDF-Arena“ applaudiert.

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Es gibt Ideen, die sind nur theoretisch gut. Wie die von RTL, sein WM-Studio im Berliner Fernsehturm einzurichten. Klingt toll — bedeutet aber in der Praxis nur, daß die RTL-Leute bei ihren nächtlichen Zusammenfassungen vor zwei dunklen Fenstern mit Neonröhren stehen. Billiger sieht nur das Studio der Tochter n-tv aus, wo der Sportmoderator in eine Art Abstellkammer umziehen mußte.

Die Zeiten, in denen die Privatsender den Öffentlich-Rechtlichen zeigten, wie man eine Fernsehsendung state of the art inszeniert, sind ohnehin vorbei. Ich möchte lieber nicht wissen, was die „ZDF-Arena“ im Sony-Center am Potsdamer Platz gekostet hat — aber genau so muß heute ein WM-Studio aussehen und genau so muß man das Studio, die Spiele und die Analysen in Szene setzen.

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Und zu Ingolf Lücks witzig gemeinter Sendung „Nachgetreten“, in der Karl Dall sagte, er hätte gedacht, Ecuador würde als Hauptexporteur von Guano auch „Scheiße spielen“, und selbst das hoffentlich alkoholisierte Publikum auf mehrere Holländerwitze mit Totenstille reagierte, nur soviel: Ich habe mir die Namen aus dem Abspann notiert. Die merk ich mir. Alle.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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